warum ich mir mit Rollenspielgruppen schwer tue...

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TimeShift
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warum ich mir mit Rollenspielgruppen schwer tue...

Beitrag von TimeShift »

Mittlerweile war ich schon in mehreren Runden. Manche waren lustig und schön, andere eher frustrierend - und wieder andere sind entweder am Typ der Spieler, am Zwischenmenschlichen oder der Zeit ins Stocken gekommen. Doch eines ist mir aufgefallen, was sich regelmäßig ereignet - und vielleicht liegt der Fehler da an mir.

Wenn ich mir einen Charakter überlege, dann denke ich mir immer zuerst "Hrm, wie könnte der Charakter denn einer Gruppe IRGENDWAS bringen?" und entwerfe dann etwas um diese Idee herum. Heraus kommt dann ein Charakter mit ein paar Ecken und Kanten, dafür aber auch mit reichlich Dingen, die ihn im Gruppenspiel nützlich machen (sei es der Typ, der gut Wunden versorgen kann, der Verhandlungsgeschick besitzt, der Knarren herstellen bzw. reparieren kann oder jemand, der den fahrbaren Untersatz zusammenschraubt und die Gruppe sicher von A nach B zu bringen weiß) und beim Rest zumindest nützlich ist bzw. nicht sinnlos in der Gegend rumsteht.

Nun ist es aber leider so, dass ich dann, wenn ich den Charakter fertig habe und mich mit den anderen treffe, meist (bislang jetzt in DREI Runden) auf Charaktere treffe, bei denen sich sowohl mein Charakter als auch ich als Spieler mich frage, WARUM sich solche Leute (also die Charaktere) denn ÜBERHAUPT einer Gruppe anschließen würden. Denn das, was ich da antreffe, könnte gut und gerne als Anmiet-Söldner durchgehen, dem es NUR und AUSSCHLIESSLICH ums Geld geht. Gruppenaffinität, Verpflichtungen in Richtung Religion, Politik, Abhängigkeiten, Freundschaften...Fehlanzeige. Auch das Spiel dieser Charaktere (bzw. der Spieler dahinter) endet meist in einem "Was bringt MIR das denn?". Das die Gruppe gerade gemeinsam dem Tod von der Schippe gesprungen ist, das ein Char dem anderen gerade MEHRFACH das Leben gerettet hat, das man gemeinsam im Schützengraben liegt, man gemeinsam reist und Smalltalk macht, einander kennen lernt und sich ggf. eine Freundschaft bzw. zumindest Respekt vor den Fähigkeiten der anderen Gruppenmitglieder gegenüber bilden sollte - Fehlanzeige. Im besten Falle wird man als Kugelfang oder kostenloses Medikit betrachtet, jegliche Unzulänglichkeiten des Charakters als Grund genommen, von diesem genervt zu sein (statt es als Chance anzusehen, mehr über die Charaktere zu lernen) und daraus dann Spannungen zu bilden, die das Spiel schlußendlich kaputt machen.

Kurz zusammengefasst: Charaktere, die so flach sind, dass man ihren Background problemlos auf nen Bierdeckel schreiben könnte. Charaktere, die so komplex wie ein 2-teiliges Puzzle sind und die sich NUR durch die Stats auf dem Charakterbogen definieren, deren höchstes Ziel es ist, eine Menge X an Geld bzw. irgendeine bestimmte Fähigkeit, Combo oder einen bestimmten Zauberspruch ENDLICH beherrschen zu können, weil sie dann quasi alles solo platt machen können, was ihnen der GM entgegen wirft.

Interessanterweise bin ich es nicht, der sich von solch flachen Spielern "gestört" fühlt, sondern sie sich von mir - der ich meinen Charakteren eben Tiefgang verleihen will (nur zur Info: Wenn ich leite, hat auch JEDER meiner NPCs und Charaktere, die da auftreten, eine Hintergrundgeschichte. Einen WINZIGEN Teil davon hab ich mal für zwei Connections ins Tagebücherforum gepostet. Allerdings auch wirklich nur das, was ein Spieler auf Anhieb und OHNE Recherchewürfel erfahren dürfte. Das GM-Wissen bzw. das, was es noch über die Charaktere zu enthüllen gibt, ist mehr als dreimal so lang und widerspricht dem Geposteten an einigen Stellen sogar. Und ja, ich freue mich schon drauf, wenn die Spieler immer mehr davon enthüllen und sich ihre Gegenüber dann in ihrer Wahrnehmung langsam wandeln. Das macht meiner Meinung nach den Reiz des Rollenspiels aus). Und ich frage mich jetzt ehrlich und ernsthaft: Bin ich wirklich DERART falsch gepolt, dass ich Wert auf Charakterplay setze? Wo ist der Fehler? Weil eine echte, konkrete Antwort habe ich bislang nie erhalten - nur immer vages Blabla (wenn überhaupt).
Meine GM-Badges

E(nergy) = m(ilk) * c(offee) ²
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Liechtenauer
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Re: warum ich mir mit Rollenspielgruppen schwer tue...

Beitrag von Liechtenauer »

Hey, das ist aber ein echt dickes Brett zum Bohren, das du hier anschleppst. Ich versuche mal etwas zu antworten, das sich nicht nur als vages BLABLA qualifiziert. Der Schlüsselsatz in deinem Post ist glaube ich der hier:
Timeshift hat geschrieben:Das macht meiner Meinung nach den Reiz des Rollenspiels aus
Genau hier liegt denke ich der Ursprung deines "Problems". Denn über das was den Reiz des Rollenspiels ausmacht, gibt es mindestens genausoviele Ansichten wie Spieler. Ich will jetzt gar nicht mit den archetypischen Spielertypen anfangen (siehe hier), oder der lustigen Kontroverse a lá "Chess is not a roleplaying game", aber das ist es im Kern.

Ich formuliere mal eine provokante These: Ja, ich glaube mit deiner intuitiv auf den größten Gruppennutzen fokussierten Herangehensweise an die Charaktererschaffung gehörst du eher zur Minderheit aller Rollenspieler.

Hier mal das andere Ende des Spektrums: Bei der großen Mehrheit besteht der Reiz darin, einfach mal besser zu sein als der ganze Rest der Welt. Denn im Alltag fühlen wir uns ja eher selten als "etwas Besonderes". Viele möchten daher im RPG eher John Rambo sein als der Sani, der ihn immer wieder zusammenflickt oder der Techniker, der seinen zu Schrott gefahrenen Hummer repariert. So entstehen dann Gruppengefüge von lauter John Rambos, die nach ihren eigenen Regeln leben und nur machen was ihnen was bringt. Und die rennen dann als Gruppe rum weil Rollenspiel nun mal so gespielt wird: Man rennt zusammen rum, tötet "Dinge" und nimmt ihr Zeug mit... Kämpfe werden dann eher regelbasiert ausgewürfelt und man freut sich wie ein kleines Kind über jeden kritischen Treffer, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden wie der "Treffer" jetzt eigentlich im Spiel ausgesehen hat. Das ist auch völlig OK solange alle damit ihren Spass haben (und da nehme ich mich selbst bei manchen Systemen nicht aus). Und ich habe auch die Erfahrung gemacht dass selbst wenn meterweise Charakterhintergrund geschrieben wird, dieser meist weder vom Spielleiter noch vom Spieler selbst ins Spiel aktiv eingeflochten wird. Also wen wunderts, dass der Hintergrund auf dem Cahrakterblatt immer irrelevanter wird.

Wenn sich vor dieser Grundhaltung dann einer gutgemeint eher zurücknimmt, wird das in Gedanken erstmal als Schwäche interpretiert ("Hat der nicht verstanden wie man in System XY einen Rambo ordentlich MinMaxed?"). Auf die Idee, dass du gar kein John Rambo sein willst kommt man da ausgehend von der eigenen Erwartungshaltung erstmal gar nicht...

...Zumindest, wenn das nie offen thematisiert wird. Hand aufs Herz: Wer von euch hat sich schonmal vor die Spielgruppe gestellt und ausgesprochen was ihm am Rollenspiel eigentlich wichtig ist? Und hier liegt das paradoxe daran: Wir reden stundenlang über fiktive Handlungen fiktiver Charaktere und fast nie über das einzig Reale daran, nämlich warum wir das machen und was uns daran eigentlich Spass, oder eben keinen Spass macht...(Dafür gibt es übrigens eine unterhaltsame Labeling-Methode :D . Leider reicht der Platz in der Signatur hier im Forum nicht). Das wird maximal im Konfliktfall ausgesprochen, wenn es eigentlich schon fast zu spät ist.

Ich hatte letztens in meiner ältesten Gruppe (20+ Jahre) eine ähnliche Sinnkriese, da eine Hälfte mittlerweile mehr nach regelleichtem, intensivem Charakterspiel lechzt, und die andere Hälfte mit dem guten alten humoristischen Hack & Slay bei Bier und Chips immer noch vollauf zufrieden ist. Das entläd sich dann meist in einem Plädoyer für ein anderes Spielsystem, das den gewünschten Spielstil hoffentlich besser unterstützt. Ich bin aber mittleriweil überzeugt, dass man das nur unter einen Hut bekommt, wenn man die verschiedenen Erwartungshaltungen mal offen auf den Tisch legt und versucht einen Kompromiss zu finden.

Das wäre übrigens auch mein Lösungsvorschlag: Besprich doch das nächste Mal einfach vorher mit der potenziellen Gruppe was dir wichtig ist und wie du dir das im Spiel umgesetzt vorstellst. Vielleicht haben da alle Spass dran oder lassen sich zumindest mal auf das Experiment ein. Setze nicht darauf, dass jemand deinen Charakter "versteht", wenn du nur seine Hintergrundgeschichte vorliest. Die meisten schalten beim Wort Hintergrundgeschichte schon ab, es sei denn es geht um die eigene...

Ein schöner Ansatz, wie man beispielsweise die Gruppe komplett gemeinsam durchdesignen kann, bevor der SL auch nur über das eigentliche Abenteuer nachgedacht hat, findet sich übrigens in diesem Buch hier (kostenlos). Fand ich einen interessanten Ansatz.

P.S.: Thumbs-up übrigens für die SR NPC-Hintergrundbeschreibungen. Was hinter Sigi Wagner noch so alles stecken mag hat jedenfalls schon mal meine Neugier geweckt...
"Wo das Chaos auf die Ordnung trifft, gewinnt meist das Chaos, weil es besser organisiert ist."
Golgar
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Re: warum ich mir mit Rollenspielgruppen schwer tue...

Beitrag von Golgar »

Gruppenbezogene Charaktere - wie Du, Timeshift, Deine Vorliebe angibst - gibt es z.B. auch in den sog. (den Namen meist nicht verdienenden) "Online-Rollenspielen". Das ist oft der Heiler, der für jede Gruppe dann auch meist unerlässlich ist in den Gruppenaufgaben, wenn man nicht solo levelt; aber der taugt dann evtl. nicht so gut für's Solo-Spiel. Die sind zwar einerseits geliebt (weil sie ja den Anderen helfen), aber auch gehasst (weil man in Gruppenquesten nicht ohne sie kann) ... aber das führt zu weit. Also zurück zum Thema ...

Hier mal ein Grundsatz, der vielleicht die angesprochene ("gruppenförderliche" oder sonst spielförderliche) Spielanlage etwas zurechtrückt:
"Schillernde Charaktere sind Sch...!" (sollte NICHt "schön" heißen :-D)

Schillernd meint hier auch diese auf ein Ziel hin durchgestylten Avatare.

Das Problem, das automatisch bei den meisten Leuten entsteht, wenn sie einen Charakter entwerfen ist, dass sie ihn soooo toll entwerfen (z.B. im Hinblick auf Gruppentauglichkeit), dass sie ihn auch "richtig lieb gewinnen", und andere sollen das dann auch tun (nicht deren Char "lieb gewinnen ", sondern MEINEN!)

Was wird da manchmal übertrieben: Ich kannte mal einen, der seinen Schogenbützen - sorry: Bogenschützen - so toll entwarf, dass es schon fast an eine Art "Pen&Paper-Bug-Using" grenzte; sprich, er nutzte jede noch so versteckte Lücke oder Freiheit aus, um den extrem gut zu machen - gleich von beginn an! (Da ist man nur sicher vor, wenn der Spieler das System nicht so gut kennt und außerdem quasi aus dem Stand ein Char erstellt werden muss, weils dann gleich auch los geht mit der Kampagne)

Dem entsprechend wurde auch der Hintergrund der Gestalt detailliert ausgearbeitet, am Ende kam sowas wie ein tragisch von seiner Familie getrennter und evtl. fluchbeladener Prinz heraus (oder eher eine kapriziöse Prinzessin auf der Erbse).
Drunter ging es nicht. Die ganze Welt - sorry, natürlich nur die Gruppe - wimmelt dann nur so von überaus genialen Gelehrten mit ABenteurer-Drang, ungemein gewieften Händlern, wahnsinnig durchtriebenen Trickdieben ... einfach "episch" - wie man heutzutage gern sagt.
(Ebenso "episch" ist dann die Art, mit der man ganz gerne selbstverliebt über SEINE Heldentaten schwadroniert)
Ich kann dazu nur anmerken: "Vordrängeln ist sch..."

Und dem entsprechend verhält sich dann auch der PRINZ in der Spielwelt - weil es der Spieler im Realen Spielumfeld tut! Er ist dann das Allerwichtigste auf der Welt. Das fördert dann auch, dass man Argumenten der GVruppe, der man ja dienlich sein wollte, nicht mehr zugänglich ist, weil der PRINZ - eigentlich man selber - es eigentlich ja besser kann und weiß als die Anderen.

Ich musste schon mehrfach miterleben, dass eine sinnvolle Planung zur Lösung der Quest / Aufgabe in der Gruppe nicht mehr möglich war; jeder hatte ja SEIN Rezept, das dann auch nie gropße Vorbereitung (z.B. tage-/wochenlange Beobachtung eines Anwesens, um die Schwächen herauszufinden) brauchte; letztlich ging man mit all den toll durchgesatylten Chars dann in Hack-'n-Slay-Manier rein und hoffentlich, dem Meister sei's gedankt, auch wieder halbwegs heil raus.

Ich plädiere dafür: "flacher Anfangs-Char", der sich IN DER GRUPPE dann entwickelt, bzw. wo der Spieler sein Char-Konzept erst im Spiel im Verein mit den Anderen integrieren muss. Und mal ehrlich, so macht es dann auch Spaß, wenn das Ergebnis von einem selbst nicht vorhersehbar ist.

Alles klar ;-)

Golgar, alias Volker :-D
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