Tales from the Table (D&D 5E): Death men don't wear plate

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Mercen
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Re: Tales from the Table (D&D 5E): Death men don't wear plate

Beitrag von Mercen »

Taschendimensionen 2

Am Morgen wurde ich wach und hatte eine fürchterliche Idee. Die Museen hier waren voll von seltsamen Artefakten und grässlichen magischen Gegenständen. War der Angriff gegen Viridicus und sein Haus vielleicht nur eine Ablenkung gewesen? Fehlte was, was besser nicht fehlen sollte? Das sollten wir Viridicus fragen.
Zum Frühstücken kamen wir nicht mehr. Wir sollten uns sofort (!!!) am Naturkundemuseum einfinden. Ich schnappte mir noch ein paar Muffins und wir liefen los.
Dort stand Viridicus, eine kleinere Armee von Teufeln und vier weitere Kampfwagen. Diese waren allerdings deutlich kleiner als unserer und mit einem langen Rohr auf der Ladefläche ausgestattet. Rote Runen blinkten infernalisch auf den Rohren herum. Besetzt waren die Wagen mit unseren Saufkumpanen von letztens. Ich winkte ihnen freundlich zu. Die Verteilung war wie bei uns, die Frauen fuhren und die Männer bedienten die Geschütze.
"Ah, da seid ihr ja endlich," brummte Viridicus, "ich hoffe, ihr habt gut geschlafen, während wir gearbeitet haben?"
"Leidlich, eure Gönnerschaft, wir wurden etwas abrupt herausgerufen." Ich biss ein weiteres Stück von meinem Muffin ab.
"Schluck das endlich runter, verdammt nochmal, und dann ab an die Arbeit. Hier, in meinem Museum für Naturgeschichte scheint sich der Mutterriss zu befinden. Abyssale Kreaturen klettern auf meinen Ausstellungsstücken herum." Seine Stimme wurde lauter und schriller. "AUF MEINEN EXPONATEN!"
Er holte tief Luft und versuchte, sich zu beruhigen.
"Euer Auftrag lautet: Fahrt durch die Räume und tötet alles. Wirklich alles. Ich wünsche eine vollständige Desinfektion. Euch folgen die Kampfwagen hier und reinigen die Hallen."
"Verzeiht die Frage," mischte sich Xera ein, "sind noch weitere Klienten von euch da drinnen?"
"Ja, aber wir haben keine Lebenszeichen mehr. Daher gehe ich davon aus, dass sie entweder tot oder besessen sind."
Hinter uns rumpelte es vernehmlich und der Bartteufel fuhr Behemoth vor.
"Oha, mit dem Ding bleibt aber nicht mehr viel stehen."
"Die Gänge sind breit genug. Ich wünsche minimalen Schaden an Vitrinen und Exponaten."
"Eure Gönnerschaft, der Skorpion ist ein wenig eingeschränkt in seiner Bewegungsfähigkeit. Eigentlich schießt er nur nach hinten. Außerdem wären Scheiben nicht schlecht, denn bei Regen, Staubstürmen oder spritzendem Dämonenblut sieht man auch nicht viel. Ich sollte mal mit eurem Chefkonstrukteur sprechen."
Viridicus drehte sich um und fixierte den Bartteufel. "Ed, hast du ihnen die Sicherheitsprotokolle erklärt?"
Die normalerweise sehr rote Hautfarbe von Ed verblasste zu einem hellen Rosa.
"Ähm, also ... nein."
"Dann hol das sofort nach und dann meldest du dich in der Folterkammer. 20 Einheiten auf Stärke 5 sollten dein Gedächtnis wieder in Gang bringen."
"Ja Meister, sofort Meister."
Da hatte jemand sehr schlechte Laune.
"Eure Gönnerschaft, bitte verzeiht die nochmalige Störung, aber ich habe eine Idee."
"Und welche?"
"Der Angriff gestern, galt der wirklich euch? Oder war das eine Ablenkung, um ungestört etwas aus einem eurer Museen zu entwenden? Ich komme darauf, weil wir ja schon einmal während der Rückkehr von Dämonen überfallen worden waren, die uns das Buch der Toten stehlen wollten."
"…"
"Nun, ich sehe, die Idee ist euch noch nicht gekommen. Da hat es ja einen Vorteil, dass ich im übelsten Intrigensumpf des Universums sozialisiert wurde." Ich grinste.
"Danke, ich lasse das prüfen."

Behemoth war erfreut, dass wir wieder mit ihm fuhren und beglückwünschte uns zu unserer 'interessanten' Jungfernfahrt.
"Wo soll es heute hingehen, meine Gebieterin?"
"Da rein, Dämonen töten." Sie zeigte auf das Gebäude.
"Jawoll, alles plattmachen." Es kicherte aus dem Armaturenbrett.
Ich glaube, wenn Bahamut ruft, wird sie den Wagen mitnehmen wollen.
Ed erklärte uns die Zusatzfunktionen der Bordeinrichtung. Man konnte den Skorpion entriegeln und dann war er tatsächlich rundum zu benutzen. Besser noch, Spruchbenutzer konnten Zauberplätze in ihn laden und damit die Wirkung verstärken. Das funktionierte wohl ähnlich wie bei Xeras gleißendem Schaden.
Man konnte Fenster hochfahren, allerdings bestanden die aus infernalischem Feuer und man war praktisch blind. Dafür kam nicht mehr viel von außen in das Innere der Fahrgastzelle. Die Plattform mit der Armbrust blieb offen.
Wir bekamen jeder eine Atemschutzmaske in die Hand gedrückt mit der Warnung, sie drinnen niemals abzunehmen. Abyssale Luft wäre ungesund. Neben dem Eingang waren Kisten mit Ausrüstungsgegenständen gestapelt. Leider vergaß man auch hier wieder, uns das zu sagen. Was da drin war, würden wir später kennenlernen.
Ich schlenderte zu unseren Kumpels rüber.
"Hallo Heinrich, wie geht's? Was sind das hier für Wagen?"
Der grinste zu mir herunter. "Das sind die Kampfwagen Typ 2, 'Flammingo'."
"Flamingo? Die Wagen sind doch nicht rosa."
Die Herren und Damen oben in den Wagen fanden das wohl ungeheuer witzig und lachten sich kaputt.
"Das ist ein Wortspiel. Wirst gleich sehen, was damit gemeint ist."

Die Museen, also deren Inneres, waren ebenfalls Taschendimensionen, erklärte uns Viridicus. Hier konnte man nur an einer Stelle heraus und das war der Haupteingang. Der Vorraum war bereits gereinigt und am Durchgang zum zweiten Raum hatte man eine Art Energiefeld installiert, welches milchig war und leicht durchsichtig.
"Wie macht man das auf?", wollte ich wissen.
"Ihr gar nicht. Stellt euch davor und winkt. Das Öffnen geht nur von dieser Seite. Das ist ja der Sinn eines solchen Verschlusses."
Also dann. Der Vorhang fiel und fünf Kampfwagen fuhren langsam in die nächste Halle. Hinter uns flackerte der Energieschirm sofort wieder auf.

Der erste Raum wirkte noch leidlich intakt. Auf den Scheiben der Vitrinen waren Schlagspuren zu sehen und in einigen klafften faustgroße Löcher. An den Kanten der Vitrinen hatte sich ein rosa und purpurfarbener Belag gebildet, ein wenig wie Algen an der Wetterseite eines Gebäudes. In der Luft trieben kleine Staubflöckchen, die einen ähnlich Farbton aufwiesen. Gesund sah das wirklich nicht aus. Die Kampfwagen fächerten sich auf und begannen, systematisch Boden, Vitrinen und Decke zu säubern. Aus den Rohren schlugen gelblichorange Flammenzungen und verbrannten das Zeug in Bruchteilen von Sekunden. 'Flammingo', haha, selten so gelacht. Die Wagenbesatzungen gingen sehr methodisch vor, um ja kein Fleckchen auszulassen.
Wir fuhren dieweil den Hauptgang entlang und näherten uns dem nächsten Durchgang.

Hier war die avianische Abteilung und wir hörten ein Kichern und Schnattern aus der Mitte des Raumes. Dort stand neben anderen eine Vitrine von gut zehn Meter Höhe, die diverse größere Vogelskelette behauste. In dieser Vitrine war oben ein breites Loch. Wir sahen zusätzlich noch zwei bis drei geflügelte kleine Dämonen, die durch die Skelette turnten, aber die Quasits, denn um solche musste es sich handeln, machten sich beim Anblick von Behemoth sofort unsichtbar.
Die waren lästig, aber harmlos, glaubte ich zu wissen. Die sollten so ähnlich wie ihr Äquivalent aus der Hölle sein, also wie ein Imp. Man kann sich bei so etwas täuschen, wie wir gleich merken würden.
Ich feuerte auf die vermutete Stelle des Dämonen im Brustkorb des großen Vogels, aber die Scheibe lenkte den Schuss ab und zerplatzte dann.
Wir hörten eine abyssale Beschwörung und das riesige Vogelskelett wurde lebendig. Klauen an den Flügeln packten die Scheibe und rissen die Reste aus der Verankerung. Dann kletterte das Skelett heraus. Leider waren nicht nur die morschen Vogelknochen animiert worden, sondern auch die Stahlstreben, auf denen es aufgebaut war. Das Ding beugte sich über den Wagen und pickte nach Xera. Die hackte sich durch die Rippen, aber ihr Schwert wurde von einem der Träger aufgehalten.
Zwei kleinere Skelette begannen, sich ebenfalls zu bewegen. Die beiden verzierte ich mit einem Feenfeuer, um unsere Trefferchancen zu erhöhen. Siehe da, die Skelette und ihre Insassen wurden mit lapisblauem Leuchten überzogen. Das merkten auch die beiden kleinen Dämonen und begannen, uns zu beschimpfen. Einem feuerte ich zur Belohnung die infernalische Lanze in den Körper und er und sein Reittier lösten sich in Knochenmehl und Dämonenblut auf.
Die kleinen Plagegeister hatten aber noch mehr drauf. Die kleinen Skelette waren von den Vogelmännern, die wir besucht hatten. In unseren Köpfen hallten plötzlich Worte wider: "Amhil! Amhil!"
Das warf mich für einen Moment völlig aus der Bahn und ich vergaß, weiter zu schießen. Das nutzte das zweite Skelett tückisch aus und verpasste mir einen üblen Schnabelhieb. Wenigstens wurde ich dadurch wieder wach und erschoss den kleinen Plagegeist im Innern. Xera hatte in der Zwischenzeit ihren Gegner ebenfalls überwältigt, nicht ohne ebenfalls einige Blessuren abbekommen zu haben. Das ging ja gut los.
Xera rief ihr Göttliches Gespür und sah sich um. Im Raum waren keine Dämonen mehr. Dafür entdeckte sie zu unser beider Entsetzen eine Aura an uns. Wir waren untot! Nicht besonders dolle, aber gut sichtbar. Mist, ich dachte, wir wären wiedergeboren worden. Offensichtlich waren wir nur belebt. Nun gut, ich hoffte sehr, dass Bahamut da was drehen konnte, wenn es drauf ankam. Schließlich machte uns das verwundbar bei bestimmten Priestertypen. Andererseits wirkten Heiltränke bei uns und das konnte nicht sein, wenn wir wirklich und wahrhaftig Untote wären. Gut, das Problem mussten wir später lösen, denn es wartete der nächste Raum auf uns.

Dieser Raum war mit pilzartigen Knollen überwachsen, die leicht pulsierten. Auf den Knollen waren Fingernägel aller möglicher Rassen verwachsen, die leise gegeneinander rieben oder aneinander klackten. Jetzt war ich recht froh, kein ausgiebiges Frühstück gehabt zu haben. Wer glaubt, die Hölle sei schlimm, sollte sich mal im Abyss umsehen.
Ich ballerte einen Schuss in einen solchen Pilz, aber außer, dass er schlaff wurde, passierte nicht viel. Behemoth mahlte sich mit hörbarem Schmatzen durch den widerlichen Morast.
Aus dem nächsten Raum war Kichern zu vernehmen. Ich beschloss, mir das erst einmal anzusehen, bevor wir mit der Kavallerie hinein donnerten.

Ich spähte vorsichtig durch den Durchgang des vierten Raums. Der Boden war hier bereits komplett überwachsen und es waren mehrere menschengroße Hügel unter dem Bewuchs auszumachen. Die Hügel bewegten sich leicht. Ich war mir sicher, dass ich gerade die vermissten Agenten gefunden hatte.
Rechts von mir war das Kichern zu hören. Ich blickte vorsichtig um die Ecke. Dort saß ein Dämon mit kleinen Flügelchen, etwa menschengroß, mit allen seinen vier Extremitäten an die Wand geklammert. Ich stützte mich kurz an der Wand ab und packte prompt in einen der Nagelpilze, die zum Dank meine Hand zerkratzten. Dadurch war ich leider nicht so leise wie gewünscht, denn nun bemerkte er meine Anwesenheit. In seiner Hand bildete sich eine Kugel, die er nach mir warf. Feuer umspielte mich und es tat höllisch - abyssisch? - weh. Ich machte, dass ich davon kam und rannte zum Wagen zurück.
Wir beschlossen, mit geschlossenem Visier hineinzufahren. Behemoth sollte über die Hügel rollen und erst anhalten, wenn nichts mehr zuckte.
Ein prima Plan. Wir schlossen die Fenster und rollten in Feuer gehüllt in den Raum. Es ruckelte ab und an, wenn Behemoth jemanden überfuhr. Dann hörte wir zirpen auf den Ladefläche und einer der Dämonen war gelandet. Er versuchte, sich durch den Feuervorhang zu schieben und wurde für diese böse Tat von Xera und mir mit Schwerthieben bestraft.
Weitere Wesen landeten auf der Plattform und machten sich über die Armbrust her. Der Feuerschild musste runter, ansonsten waren wir gleich waffenlos. Xera ließ die Schilde herunter und wir gingen die beiden hinten besuchen. Ich fiel überraschend über den Dämon her und schlitzte ihn fachgerecht auf. Xera hatte es mit einem pilzüberwucherten Agenten zu tun. Jetzt lernten wir, was sich in den Ausrüstungskisten befunden hatte. Er hatte einen Art Rucksack auf dem Rücken, mit dem er fliegen konnte und er war komplett in eine Art Schutzschild gehüllt.
Draußen sah ich aus den Augenwinkeln weitere Agenten aus ihren Kokons klettern und ein dritter Dämon machte sich bereit, uns mit einer Feuerkugel zu bewerfen. Behemoth führte weiter seinen Befehl aus und überfuhr einen Agenten nach dem anderen. Die waren durch ihren abyssalen Pflanzenbewuchs doch arg behindert und kamen nicht schnell genug vom Fleck.
Xera hackte sich durch den Schutzschild, der zwar Treffer absorbierte, aber mit der schieren Gewalt von gleißendem Licht und Blitz überfordert war. Er explodierte und riss den Agenten auseinander. Leider trafen auch uns die Splitter und anderes. Und der Feuerball des verbliebenen Dämons.
Ein weiterer Agent landete auf der Motorhaube. Der Dämon ging zu einer anderen Waffe über und bewarf Xera mit einer Säurekugel, die sich durch ihren Kettenpanzer fraß und eine hässliche Lache auf dem Boden erzeugte. Xera, die ja keine Stiefel trug, bekam Probleme mit dem Auftreten.
Ich klemmte mich hinter den Skorpion und entfernte die eklige Kühlerfigur. Der Dämon ließ sich auf mich fallen und es gab einen kurzen, aber intensiven Schlagabtausch, der erfreulicherweise zu meinen Gunsten ausging. Behemoth zermatschte dieweil den letzten Agenten. Der letzte der Dämonen flüchtete in den angrenzenden Raum.
Wir waren rechtschaffen angeschlagen, aber Rückzug kam wohl nicht in Frage, denn dann hätten wir wieder von vorne anfangen müssen. Also tranken wir unsere Vorräte an Heiltränken aus und Xera half mit ihren Heilenden Händen zusätzlich nach. Leise rülpsend machte ich mich danach auf den Weg zu einer Vorerkundung.

Im Durchgang waren entfernt unheilige Gesänge zu hören. Der letzte Fel, der geflohen war, klebte über der Tür und ließ sich auf mich fallen. Dabei spießte er sich fein säuberlich auf meinen Kurzschwertern auf. Allerdings war er nicht alleine, denn hörte ich ledrige Schwingen und weitere geflügelte Dämonen, diese eher in nachtschwarz gehalten, machten sich zum Angriff bereit.
In dem Raum wogten trauerweidenartige Gebilde, deren Zweige aus menschlichem Haar gebildet waren und die in einen nicht spürbaren Luftzug hin und her wehten.
Einer der Vögel wurde von einem Blitz getroffen und fiel zu Boden. Behemoth erledigte den zuckenden Rest und ich schwang mich wieder an Bord. Wir fuhren die Feuerwände hoch, was den Dämonen wohl egal war. Vier von ihnen landeten, ziemlich angesengt, in unserer engen Kabine. Erfreulicherweise waren sie nicht mehr besonders robust und wurden schnell eliminiert. Nach der Säuberung dieses Raums stieg ich erneut ab und schaute mir den nächsten Raum an.

Der sechste Raum war komplett von dem kranken Zeug überwuchert. Es bildet Büsche auf dem Boden und lianenartige Ranken, die von allem herunterhingen, was möglich war. Um den Raum zu reinigen, bräuchte es mehrere Feuerbälle, würde ich meinen. Dämonen waren hier keine zu sehen. Der Gesang war hier deutlich lauter zu hören und kam aus dem nächsten Raum. Ich ging vorsichtig durch den Raum und bemühte mich, nichts zu berühren. Dann erreichte ich den Durchgang. Was ich dort sah, verschlug mir den Atem. Wir waren am Ziel!

Die Bannsänger waren so vertieft in ihr Tun, dass sie mich nicht bemerkten. In den Ecken der Halle standen vier mächtige fleischige Säulen, die leise pulsierten. Auf einem Podest aus ebenfalls pulsierendem Fleisch standen gut 20 Gestalten in eitergelben Roben, deren atonaler Gesang rhythmisch auf und ab schwellte. Einige hatte ich schon mal gesehen. Das waren Agenten des Viridicus! Über dem Podest hatte sich ein violetter und gelber Riss gebildet und darin bewegtes sich etwas. Ich sah ein wunderschönes Frauengesicht mit langen schwarzen Haaren, einen nackten weiblichen Oberkörper und einen schlangenartigen schwarz geschuppten Unterleib. Sechs lange scharfzahnige Schwerter in ihren sechs Händen vervollständigten das Bild einer Marilith. Einer besonders großen.
Ich bete zu allen Bahamuts aller Universen und ein Strahl lapisblaues Licht raste auf den Spalt zu. Lapisblaue Flammen züngelten über die Ränder und verdampften sie. Ich sah noch, wie sich das hübsche Gesicht zu einem Wutschrei verzerrte und ich konnte nicht anders, ich gab ihr die universelle Geste des Mittelfingers.
Der Gesang brach ab und entsetzte Schreie waren zu hören. Die Kultisten drehten sich um und deuteten auf den Durchgang. Dann grollte Behemoth auf und, gefolgt von vier feuerspeienden Kampfwagen, gingen wir ans Aufräumen. Es gelang Xera und mir, drei lebend zu ergattern, damit sich auch Viridicus ein wenig amüsieren konnte. Das Schicksal von Verrätern war uns beiden nämlich sehr egal.
Wir brannten das Podest weg, aber wir fanden keinen Gegenstand, der magisch war und für das Ritual eventuell zu gebrauchen gewesen wäre.
Wir fanden aber noch ein Amulett, was eine Scheibe mit infernalischen Glyphen darauf war sowie einen Trank, der nach Weihrauch roch. Wir brauchten dringend jemand, der das identifizieren konnte.

Ich versuchte während der Rückfahrt mit einem der Drei zu reden und zog ihm den Knebel heraus.
"Warum habt ihr das gemacht?"
"Du bist noch nicht lange dabei, stimmt's?"
"Ja, das ist so."
"Ich mache den Job jetzt seit über 1000 Jahren, ohne Hoffnung auf Erlösung. Du bleibst in seinen Klauen für immer und ewig. Ich wollte nur noch sterben."
"Und das hat dir eine Dämonin versprochen?" Ich schüttelte mitleidig den Kopf. "Teufel halten Verträge ein, Dämonen niemals. Ich muss das wissen, denn ich bin ein Drow. So schlecht ist er doch gar nicht als Patron."
Der Gefangene lachte auf. "Er hatte mal eine Freundin …"
"Ja?"
"Ich sage jetzt nichts mehr. Frag ihn selber, vielleicht erzählt er seinen neuen Lieblingen ja was."
Gut, dann nicht. Er bekam seinen Knebel wieder und nach kurzer Zeit erreichten wir den milchigen Vorhang. Dort erwartete uns ein Hindernis der üblen Art. Vor dem Vorhang stand ein alter fettleibiger und hässlicher Bekannter, nämlich der Pförtner, der uns aus der Reihe winken musste.
Der erkannte uns auch und seine Miene verdunkelte sich. Xera musste ziemlich betteln, damit er endlich das Portal öffnete. Wir sagen ihm, dass wir Gefangene hätten und wir umgehend Viridicus darüber informieren müssen. Er zog er einen kleinen Imp unter seiner Achsel hervor, der leicht grün um die Nase herum wirkte. Der arme kleine Kerl tat mir spontan leid.
Nach einiger Zeit kam er wieder und meinte, dass wir zum Hauptgebäude kommen und die drei in der Seelenkammer abgeben sollen. Ich hatte eine Eingebung und fragte ihn, ob er uns den Weg zeigen könne? Begeistert bejahte er. Das war zwar jetzt nicht lange, aber jede Minute an der frischen Luft musste für ihn ein Geschenk sein.

Wir lieferten die Gefangenen ab und machten uns auf den Weg zu Viridicus. Der begrüßte uns herzlich, aber es war deutlich zu sehen, dass er sehr nervös war. Schweiß perlte auf seiner Stirn und er wirkte fahrig.
"Meine eigenen Angestellten, ich fasse es nicht. Habe ich sie nicht immer gut behandelt? Sie wussten doch, was sie da unterschrieben haben. Das hätten sie ja nicht tun müssen, wenn sie mit den Klauseln unzufrieden waren."
Xera und ich sahen uns an.
"Wieviele Angestellte habt ihr eigentlich, Eure Gönnerschaft?", fragte ich.
"Gute einhundert, warum?"
"Das war dann aber ein erklecklicher Anteil an Unzufriedenen", meinte Xera, "mehr als ein Fünftel."
"Einer der Gefangenen meinte, dass es schlimmer geworden ist, als Ihr eure Freundin verloren habt.", ergänzte ich dreist. "Können wir euch da vielleicht helfen?"
Sein Gesicht war sehenswert. Ein Volltreffer in die Magengrube, würde ich meinen. Ich hoffte, wir sterben jetzt nicht auf der Stelle.
"Das ist eine sehr persönliche Frage." Er überlegte. "Warum nicht. Wenn ihr die Geschichte kennt, dann seid ihr gegen Gerüchte gewappnet. Das war noch vor der Zeit der Museen. Ich hatte mich in einen gefallenen Engel verliebt. Sie war wunderschön … " Seine Worte verloren sich ein wenig, als er an die Vergangenheit dachte, "… und wir hatten ein gemütliches Domizil in einer wunderschönen Gegend der Hölle. Unser Haus stand auf einem Hügel, der Garten wurde von drei Sonnen beschienen und der Fluss der Verdammten floss in der Nähe vorbei und lud zu ausgedehnten Spaziergängen ein."
Wir warteten. Sein Gesicht wurde traurig.
"Ich musste sie verbannen. Sie war sehr sprunghaft und gierte nach Macht. Macht, die ich ihr so nicht geben konnte und wollte. Also öffnete ich ein Tor in den Abyss und schickte sie hindurch. Unstrittig zu sagen, dass sie mich aus tiefer Seele für diese Tat verfluchte. Ihr Name ist übrigens Saira."
"Wegen Lust auf Macht? Dann müsste jeder Drow im Abyss schmoren", meinte ich.
"Es gibt einen Unterschied zwischen Recht, Gerechtigkeit und persönlichen Machtansprüchen. Das ist eine moralphilosophische Grundsatzbetrachtung, mein lieber Ghaundar. Eure Göttin und damit Euer Volk haben da den Kompass verloren."
Ich wollte gerade etwas Zustimmendes erwidern, als es klopfte. Viridicus öffnete und ein Imp flatterte vor der Tür. Er deklamierte mit piepsiger Stimme, dass die Flammingos ein Objekt freigelegt hätten und dass sich Viridicus das bitte ansehen möge. Viridicus seufzte und machte sich auf den Weg. Xera und ich sahen uns an und, weil uns keiner was anderes gesagt hatte, beschlossen wir, unserer Neugier freien Lauf zu lassen und ihm zu folgen.
Es ging schnellen Schrittes zum Museum und dort in den Raum der Beschwörung. Teile des Fußbodens waren verschwunden und dort schimmerte eine blutrote kristalline Masse. Ab und an funkelten kurz kleine Lichtpunkte auf. In der Mitte war eine kleine Pyramide aus dem Material herausgewachsen und reflektierte das Tageslicht, welches durch die Fenster fiel.
"Was, bei allen Göttern, ist das?", entfuhr es mir.
"Das ist pure abyssale Essenz", murmelte Viridicus. "Ich frage mich …"
"Könnte das nicht auch der Geist des Gönners sein?", flüstert mir Heinrich zu.
"Der ist doch infernalisch", antwortete ich.
"Vielleicht ist das ja der Gönner weitergedacht, sozusagen die Essenz des Gönners, denn der Gönner ist ja die Ebene?" Er sah mich fragend an.
Das war eine sehr kluge Frage. Leider war sie an mich wegen mangelndem Wissen verschwendet und so nickte ich nur. "Mag sein, wir werden es ja gleich sehen."
Viridicus begann mit einer Beschwörung. Dann legte er die Hand auf den Boden. Mein Blick für Magisches enthüllte mir Beschwörungsaura. Staub und Aschepartikel wanderten auf die zentrale Pyramide zu und begannen, eine Säule zu formen. Mehr Asche wirbelte um die entstehende Säule herum. Dann öffneten sich zwei violette Augen im Staub und eine weiche Frauenstimme ertönte: "Oh Viridicus! Dich habe ich ja lange nicht mehr gesehen."
Das klang nicht freundlich. Die Intelligenteren in der Halle, also die Agenten, machten sich entweder kampfbereit oder schlichen sich nach draußen. Die Heldenhaften, also Xera und ich, blieben.
Die Säule bildete jetzt unzweifelhaft die Gestalt einer reifen, wohlproportionierten Frau.
"Ich dich auch nicht," seufzte Viridicus." Wie ist es dir ergangen?"
"Nun, die letzte Zeit war fordernd, weil du mich ja ohne meine Kräfte verbannt hattest. Ich hatte alle Hände voll zu tun, mir meinen Status und meine Kräfte zurückzuerobern."
Die Halle bebte und Risse zogen sich durch den Blutstein. Die restlichen Agenten zogen sich zurück. Neugier tötet die Katz oder wie war das? Wir blieben.
"Was hätte ich tun sollen? Du weißt hoffentlich noch, was mit meiner Schwester passiert ist?"
"Hast du Heimweh, Liebster? Meldest du dich deshalb?"
Die honigsüße Stimme war pures Gift. Wir waren mittlerweile sehr alleine mit Viridicus.
"Du hast meine Agenten bezirzt, sich gegen mich zu wenden."
"Ach was, das sind doch nur Bauernfiguren. Du warst immer so kleinlich. Engel, Teufel, Dämon. Ist das nicht in allen von uns, natürlich in unterschiedlich Anteilen? Was gibt es daran auszusetzen? Nun, ich habe mir ein neues Reich geschaffen, mit eigenen Untergebenen. Willst du mich mal besuchen? Dann können wir über alte Zeiten plaudern."
Sie lachte, ein sanftes, verheißungsvolles Lachen. Und dann passierte es. Viridicus seufzte sehnsuchtsvoll auf und streckte die Hand aus, um die Aschenfigur zu berühren. Ein blutroter Blitz zündete und beide waren verschwunden. Es rumpelte und im Boden bildeten sich Risse. Jetzt nahmen auch Xera und ich unsere Beine in die Hand und hasteten zum Ausgang. Das ganze Gebäude bebte, Vitrinen brachen und es dröhnte unheilvoll um uns herum. Wir schafften es gerade noch durch den Vorhang, als die Taschendimension hinter uns kollabierte. Draußen zwitschern die Vögel, die Sonne schien und eine Menge betretener Agenten und Teufel standen herum und schauten verdutzt.
Dann setzte eine Wanderbewegung ein und alles strebte zu Turkey. Ich wandte mich an einen Teufel. "Sag mal, müssten wir nicht Papa Bescheid geben?"
"Warum?"
"Wie warum. Sein Sohn ist gerade von einer Dämonin in den Abyss entführt worden. Das sollte man doch Levistus melden."
Er sah mich an, als hätte ich ihm vorgeschlagen, Selbstmord zu begehen.
"Also, das könnte nur ein ranghöherer Teufel, als ich das bin. Ich habe erst den 47. Rang. Du musst mindestens Rang 10 haben, um das tun zu können."
"Gibt es hier einen Stellvertreter?"
"Klar, der Oberste Leser der Verträge. Den findest du im Haupthaus. Er hat das Zimmer direkt unter Viridicus."
Wo auch sonst. Das ist raumgewordene Hierarchie. Da weiß du, wo dein Platz ist. Unter dem Hintern vom Chef.
Wir klopften und der Pförtnerteufel rief uns herein. Auch das noch. Wir erzählten ihm vom Verschwinden seines Chefs und das wir das als Problem ansähen. Das sah er nicht so.
"Was soll sein. Viridicus macht einen Ausflug. Der kommt schon wieder."
"Aber …"
"Falls euch langweilig wird, dann suche ich euch einen netten kleinen Auftrag raus. Ich hätte auch gerne ein paar Sachen. Und nun verschwindet, ich habe zu tun."
Also gingen wir auch zu Turkey. Was sollten wir auch sonst tun.

Die Bude war rappelvoll, aber wir fanden noch einen kleinen Tisch. Nach einiger Zeit tauchte Turkey auf und der war sichtlich deprimiert. Tropfen von Bratensoße rannen über seinen Truthahnkopf und er fragte mit weinerliche Stimme nach unseren Wünschen.
"Einen Kuchen, wenn noch da. Wir müssen überlegen, wie wir Viridicus wiederholen können."
"Das wollt ihr tun?" Er wirkt erstaunt und erfreut. "Das ist ja toll. Ohne ihn wird diese Dimension nämlich zu Grunde gehen. Das weiß hier keiner oder ignoriert das."
"Wie bitte?"
"Ich kenne mich da nicht so gut aus, aber ohne ihren Herren halten diese Dimensionen nicht sehr lange, habe ich gehört."
"Das müsste doch auch der Pförtnerdämon wissen."
"DER?"
Turkey seufzte.
"Der ist jetzt Boss und genießt das. Wenn er merkt, dass der Zusammenbruch einsetzt, dann ist es zu spät. Geht zum Schmied, direkt neben der Wagenhalle. Der ist am längsten hier und kam direkt, nachdem Viridicus hier alles eingerichtet hat."
Wir bedankten uns artig und Turkey holte den Kuchenwagen. Der Zusammenbruch hatte offenbar bereits eingesetzt, als wir seine Törtchen betrachteten. Die waren krumm und schief und in einem steckte ein Hühnerschlegel zwischen den Blaubeeren. Der arme Turkey war völlig von der Rolle. Wir nahmen uns zwei unverfänglich aussehende Exemplare - Xera fischte eine eingebackenen Gabel aus ihrem - und gingen dann den Schmied besuchen.

In der Wagenhalle gab es eine kleine Pforte und dahinter waren die unmissverständlichen Geräusche von Eisenhandwerk zu vernehmen. Wir öffneten die Tür und standen in der Hölle. Riesige Feuer loderten, mächtige Schmiedehämmer schlugen auf rotglühendes Eisen ein und es war heiß. Sehr heiß. Mir brach der Schweiß aus und ich war noch nicht mal eingetreten. Der Schmied war gute fünf Meter groß und wohl ein Feuerriese.
Durch den kühlen Luftzug in seinem Rücken vorgewarnt drehte sich der Riese um und eine freundliche Stimme rumpelte: "Was wollte ihr? Waffen? Rüstungen? Das dauert aber, bin gerade sehr beschäftigt."
"Turkey sagt, dass du uns helfen kannst. Viridicus wurde von jemand namens Saira entführt."
"WAS?"
Der Riese ließ den Hammer sinken und zeigte auf eine kleine Sitzgruppe.
"Das ist ja schrecklich. Wie kann ich euch helfen?"
"Turkey sagte, du weißt am meisten hier. Wir würden ihn gerne zurückholen, aber wir haben keine Ahnung, in welcher der 999 Ebene sie sitzt. Vielleicht kannst du uns da helfen."
"Kann ich," nickte der Riese, "ich heiße übrigens Thorfinn."
Wir stellten uns auch vor. Dann begann Thorfinn zu erzählen.
"Er ging am Anfang jeden Abend in den Glockenturm. Die Glocke läutete dann siebzehn mal. Irgendwann hörte das dann auf und er wandte sich dem Aufbau seiner Museen zu."
"Wo finden wir denn den Turm?"
"Es gibt wohl einen Zugang von der Haupttreppe aus. Genau weiß ich das nicht, denn das ist alles zu klein gebaut für mich."
Wir bedankten uns herzlich, aber dann hatte Xera noch ein Anliegen.
"Wegen der Rüstungen, ich könnte schon was Besseres gebrauchen", meinte sie. "Nach jedem Kampf muss der arme Ghaundar die Löcher flicken."
Der Riese sah mich an. "Du bist Schmied?"
"Nein, Zauberer."
"Klar, hätte ich mir denken können bei den dünnen Ärmchen."
Dann wandte er sich wieder an Xera.
"Ich könnte dir eine lorica segmentata machen."
"Hä?"
"Das ist eine Bänderrüstung aus richtigen Eisenringen, nicht aus den ummantelten Löchern eines Kettenpanzers. Am besten wäre die natürlich zusätzlich noch mit Adamant verstärkt, aber davon habe ich zurzeit nichts hier."
"Ha, aber ich habe da was", sagte ich und zog die beiden Barren aus meinem Nimmervollen Beutel. "Reicht das?"
"Hui, ja, das reicht. Erstaunlich, was sich in diesen tiefen Taschen so findet?"
Er lachte dröhnend.
"Dauert ein paar Tage, aber ich mache mich direkt daran. Viridicus hat Priorität und seine Retter erst recht."
Er zog ein Maßband aus seiner Tasche. In seinen riesigen Pranken wirkte es winzig. Dann nahm er Xeras Maße. Wir verabschiedeten uns von ihm und gingen den Aufstieg zum Glockenturm suchen.

Der war tatsächlich sehr unauffällig in die Wand eingepasst worden. Endlose Treppen wanden sich nach oben und dann standen wir endlich in der Glockenstube. Die war nach drei Seiten hin offen. Auf der vierten Wand war ein Mosaik eingelassen worden. Vielfarbige Ringe waren mit- und ineinander verschlungen und das Ganze machte einen sehr chaotischen Eindruck. Magisch war es natürlich auch. Es sah ein wenig wie ein Astrolabium aus. Was mir sofort ins Auge fiel war ein smaragdgrüner Fleck, der sich in der Mitte des Mosaiks befand. Wie aktivierte man das Ding?
Die Glocke war alt und lange nicht benutzt worden. Staub und Spinnweben bedeckten sie und den Klöppel.
Ist euch eigentlich schon einmal aufgefallen, dass, egal wo du in den Welten auftauchst, die Spinnen schon da sind? Komisch, oder?
Wir begannen, nach einem Mechanismus zu suchen. Wir fanden ihn durch Zufall. Xera murmelte etwas in der Art wie 'der hat nach Saira gesucht' vor sich hin. Bei der Erwähnung des Namens begann die Glocke zu zittern. Also sprach sie ihn laut aus.
Wir wurden fast taub, als das Ding zu bimmeln anfing. 17 mächtige Glockenschläge ertönten. Kleine Figuren strömten aus Turkeys Diner und bewunderten das Schauspiel. Wir bewunderten das Mosaik, welches anfing, sich zu bewegen. Die Ringe verschoben sich und griffen auf neue Art ineinander und am Ende sah das Bild völlig anders aus. Xera erinnerte sich endlich, dass im Bordgerät des Behemoth eine ähnliche Darstellung zu sehen gewesen war. Ed hatte ihr erklärt, dass das die Sprungkoordinaten wären.
Also malte ich das Bild so gut es eben ging ab und schrieb die Farben an die Linien. Hoffentlich konnte Ed etwas damit anfangen.
Wir gingen ihn suchen und fanden ihn in seiner geliebten Wagenhalle. Er besah sich das Bild und meinte, dass er das wohl einprogrammieren könnte. Er könne aber nicht sagen, wo wir in dieser Ebene herauskämen, dafür wäre es zu unpräzise. Und wenn wir zurückwollten, bräuchten wir noch Rückkehrkerzen.
Die gab es im Ausrüstungslager und wir nahmen zwei mit. Ebenfalls mehrere Heiltränke. Dann war ein spätes Abendessen angesagt und eine lange Bettruhe. Nach diesem Tag waren wir völlig erledigt.

Wir müssen das tun! Ohne Patron wird das hier im Chaos enden. Oder der dicke eklige Pförtner wird zum Patron, aber dann gibt es hier Mord- und Totschlag. Ich würde die Rebellion persönlich anführen, das schwor ich mir.
Turkey hatte was Besonderes für uns. Zum Frühstück gab es ein Heldenmahl. Zuerst wollte ich nicht so recht, als ich die Massen an Speisen sah, aber Turkey erklärte uns, dass wir nach diesem Frühstück für 24 Stunden immun gegen Gifte, Furcht, Besessenheit und andere Kleinigkeiten wären. Das hörte sich gut an und so hauten wir rein. Dann ging es etwas schwerfällig zur Wagenhalle, wo Behemoth bereits in freudiger Erwartung zitterte.
Er rauschte nach draußen in den Park, beschleunigte und dann rasten wir durch die Schwärze.

Wir rumpelten auf eine kahle Ebene hinaus. Am Horizont hing eine orangefarbene Abendsonne. Es war warm und kleine Wölkchen zogen über einen fliederfarbenen Himmel. Vor uns erstreckte sich eine dichte und hohe Hecke, die sich endlos in beide Richtungen erstreckte. Etwas rechts von uns war eine Lücke zu erkennen.
Auf die hielten wir zu. Die Lücke entpuppte sich als großes, schmiedeeisernes, zweiflügeliges Tor, welches in die Hecke eingelassen war. In der Mitte war ein Schloss zu erkennen. Dahinter erstreckte sich eine lichte Waldlandschaft mit gelegentlich eingestreuten Rasen- und Blumenflächen. In der Ferne war eine Art Herrenhaus auf einem Hügel zu erkennen.
Ich kletterte vom Wagen und besah mir das Schloss genauer. Es war herzförmig und würde einen Schlüssel in dieser Form benötigen. Allerdings konnte ich keinerlei Häkchen oder Rädchen erkennen, die man bewegen konnte. Ein konzentrierter Blick bestätigte meine Vermutung: Das Tor war magisch und ohne den passenden Schlüssel hatte ich keine Chance. Die Hecke war auch keine Alternative, denn sie war gute zehn Meter hoch, etwa fünf Meter dick und bestand aus einem dornigen Zeug, welches gierig kleine Ästchen nach mir ausstreckte.
Da half wohl nur rohe magische Gewalt und so hob ich die Magie des Tores auf. Quietschend öffneten sich die Flügel und Behemoth rollte langsam hindurch. Ich folgte dem Wagen hastig, denn die Flügel begannen sofort, sich wieder zu schließen.
Hinter dem Tor roch es anders, würzig nach Pflanzen und man hörte das Keckern und Pfeifen unbekannter Tiere.
Wir rollten mit Behemoth über den überwachsenen, aber gut erkennbaren Weg, der auf das Herrenhaus zuhielt. Heimlichkeit war hier überflüssig, möchte ich meinen, denn unser Wagen war so wenig heimlich wie ein Stier unter Schafen. Allerdings rollten wir nicht lange, denn nach einer guten halben Stunde stießen wir auf ein Hindernis. Eine Schlucht teilte den Park in zwei Teile. Sie ging, wie die Hecke, auf beiden Seiten ins Unendliche und sie war gute 30 Meter breit. Baumstämme und Lianen würden zwar Xera und mir ein Überklettern ermöglichen, aber für Behemoth war das nichts. Also schärften wir ihm ein, brav zu warten und balancierten über die Schlucht.
Auf der anderen Seite wand sich der Weg weiter durch die wuchernde Vegetation. Dann lernten wir die Tierwelt kennen. Gut getarnt in den Büschen sah ich ein katzenartiges Gesicht. Und ein zweites in den Bäumen über uns. Ich konnte gerade noch Xera warnen, als der Angriff blitzschnell erfolgte. Es waren große Katzen mit vielen Klauen und Zähnen, aber das war nicht alles. Aus ihren Schultern wuchsen zusätzlich zwei Schlangen, die uns ebenfalls angriffen. Jetzt war ich froh über das Heldenmahl, denn was da von den Fängen tropfte, war kein Honig.
Wir wehrten uns verbissen und die Anzahl der Katzen schwoll auf vier an. Das war ein langer, harter und sehr schmerzhafter Kampf und am Ende waren wir rechtschaffen ausgelaugt. Wir schluckten jeder unsere drei Heiltränke und Xera legte noch ihre Heilende Hand auf. Damit ging es dann einigermaßen und wir marschierten weiter.

Wieder versperrte ein Hindernis unseren Lebensweg, diesmal in Gestalt eines Flusses mit starker Strömung, der lustig vor sich hin rauschte. Überflüssig zu sagen, dass auch der gute 30 Meter breit war, keine Brücke zu sehen war und sich endlos in beide Richtungen erstreckte. Zu allem Überfluss konnten wir gut zwei Meter durchmessende scheibenförmige Fische sehen, die uns aus zahnbewehrten Mäuler angähnten.
Xera zog ihre Maske an. Dann stieg sie ins Wasser und wollte über den Flussgrund marschieren. Die Mondfische waren begeistert und wollten sich über sie her machen. Ich schoss einen an. Der Effekt war spektakulär, denn seine Artgenossen fanden das blutende Ding zum Anbeißen schön und fielen über ihren Artgenossen her. In wenigen Sekunden war er bis auf die Knochen abgenagt. Da hatten wir doch jetzt eine Taktik zur Flussüberquerung gefunden! Ich feuerte weiter und Xera beeilte sich, durch die starke Strömung ans andere Ufer zu kommen. Das klappte leidlich gut, nur einmal verfehlte ich mein Ziel und Xera wurde gebissen. Aber dann war sie auch schon am anderen Ufer und kletterte nach draußen.
Nun war ich dran. Ich suchte mir eine möglichst schmale Stelle, befestigte mein Seidenseil an einem Bolzen und feuerte ihn über den Fluss. Xera erwischte den Bolzen in letzter Sekunde und zog das Seil straff. Nun noch ein wenig Levitation und ich wurde über den Fluss gezogen.

Der Weg führte zu einem Hügel hinauf. Dort stand ein Pavillon, der eine herrliche Aussicht auf den ganzen Park gewährte. Seidenkissen lagen unordentlich auf Bänken und auf dem Boden herum. Ein kleines Tischchen war umgestoßen worden und Gläser und Flaschen lagen auf dem Boden und der ehemalige Inhalt verschmutzte die Seide.
Wir beschlossen, eine Rast einzulegen. Ich fiel in Trance, um meinen Spruchspeicher wieder aufzuladen. Dann machten wir uns auf den Weg zum Herrenhaus.
Wir diskutierten kurz, ob wir das verstohlen machen sollten, aber andererseits wollten wir ja niemanden überfallen. Also spazierten wir offen und unverfroren durch den Eingang und standen in einem großen Innenhof. Auf der linken Seite war der Eingang und vor dem stand die schwarze Marilith, der ich den Spalt vor der Nase zugemacht hatte. Aus einem halbgeöffneten Fenster waren unverhohlen frivole Geräusche zu hören. Da amüsierten sich zwei Personen prächtig. Eine davon war der Gönner, also lebte er noch. Das war schon die gute Nachricht. Durch den geschlossenen zweiten Flügel krachte eine kleine Fußbank.
Die Marilith stand aufgerichtet mit ihren guten zweieinhalb Metern Höhe da und fixierte uns und vor allem mich.
"Was wollt ihr."
"Gute Dame, wir sind Agenten des Viridicus und müssen dringend mit ihm sprechen."
"Die Herrin ist beschäftigt. Wenn sie nicht mehr beschäftigt ist und euch zu sehen wünscht, werde ich euch einlassen."
"Aber …"
"Ihr seid Diener, also kein aber."
Ich verkniff mir zu erwähnen, dass sie das wahrscheinlich auch wäre. Wer steht denn sonst im Hof herum, verscheucht ungebetene Gäste und nennt seinen Boss 'Herrin'?
"Wie ihr wünscht edle Dame. Können wir drin warten?"
"Nein, aber ihr könnt euch hier irgendwo hinsetzen."
Ich merkte, wie es rechts von mir wärmer wurde. Xera begann sich aufzuregen.
"Wenn es sein muss. Wir wollen uns ja nicht mit Gewalt Zutritt verschaffen, schließlich sind wir friedlich hier."
Die Marilith lachte.
"Gewalt? Du kämst nicht an mir vorbei, kleiner Mann. Da bist du nicht kräftig genug für."
Sie grinste und ließ ihre durchaus beeindruckenden Muskeln spielen. Bis auf den Schlangenleib war die Frau wirklich sehr schön. Tödlich schön.
"Das mit dem kräftig stimmt. Meine Kunst ist die Geschwindigkeit, nicht die rohe Kraft."
"So so, also Schnelligkeit. Ihr Kleinen seid nicht schnell."
"Lass es mich versuchen. Ich stehle dir eines deiner Schwerter und du kannst mich nicht daran hindern."
Jetzt trug ich richtig dick auf, aber die Frau nervte mich langsam mit ihrem Hochmut.
Sie sah mich an. "Einverstanden. Auf drei."
Natürlich wollte sie betrügen. Ihre Schwanzspitze ringelte sich bereits in Richtung meines Beins. Da würde ich wirklich flott sein müssen.
Bei zwei griff sie zu. Das hatte ich erwartet, aber die Frau war wirklich schnell. Es gelang mir mit Mühe, meinen Fuß aus der Umklammerung zu bekommen, hechtete mit einer eleganten Flugrolle unter ihren ausgebreiteten Armen hindurch und noch vor der Landung griff ich nach einem der gezahnten Schwerter. Dabei erwischte ich wohl einen Hebel, der die Zähne in Bewegung setzte. Lautes Grollen ertönte und die Kette mit den Zähnen setzte sich in Bewegung. Es roch penetrant nach verbranntem Steinöl. Es gelang mir, einigermaßen elegant wieder auf die Füße zu kommen, ohne mir etwas abzuschneiden, ließ den Hebel los und überreichte ihr das 'Schwert' mit einer Verbeugung.
Sie nickte mir lächelnd zu. "Beeindruckend. Unsere Kinder werden auch keine Probleme mit der Hautfarbe bekommen. Ich heiße übrigens Lilith."
WAS? Warum nicht. Allerdings sah ich ein kleines Problem voraus: Extraplanare weibliche Biologie hatte nie auf meinem Stundenplan gestanden. Das war Neuland.
Sie schleppte mich in ihr Zimmer. Xera musste draußen bleiben. Das Zimmer war direkt rechts hinter dem Eingang und bestand aus einer Menge an Sofas, Kissen und Decken, die kreisförmig angeordnete waren, wie ein Nest.

Xera: Das gibt's doch nicht. Ghaundar geht mit der Dämonin poppen und ich darf hier im Hof herumsitzen und mich langweilen? Da mache ich doch ein paar Spaziergänge. Der Garten um das Haus herum ist in mehrere Abteilungen mit unterschiedlichem Bewuchs gegliedert. So weit, so unspektakulär. Weitere Eingänge finde ich aber nicht.
Dann schnalle ich mir die Kletterschuhe an und gehe mal im ersten Stock nachsehen. Der Lärm hat sich in einen anderen Flügel verlagert. Ich klettere nach oben und schaue durch das Fenster. Es ist niemand zu sehen. Eine umgeworfene Couch, auf dem Boden verteilte Kissen und Kleidungsstücke und einige Flaschen und leere Gläser sind zu sehen. Ansonsten ist in dem Raum nichts Bemerkenswertes. Mich im Haus umzusehen, traue ich mich aber nicht, denn im Nebenzimmer sind schon wieder eindeutige Geräusche zu hören. So klettere ich wieder herunter und habe mich gerade gut hingesetzt, als die Marilith wieder auftaucht, recht zufrieden, so wie es aussieht. Ghaundar scheint ganze Arbeit geleistet zu haben. Sie bittet mich ebenfalls herein und wir dürfen im Inneren übernachten. Natürlich unter ihren wachsamen Augen.


Das war eine interessante Erfahrung gewesen. Mir tat alles weh und ich glaube, ohne den Schuppenpanzer von Bahamut hätte ich hier wirklich ernsthafte Verletzungen davon getragen. So hatte ich viele blaue Flecken und war rechtschaffen erledigt.
Da sonst nichts weiter passierte, dösten wir unter der Aufsicht von Lilith auf zwei Sesseln vor uns hin. Xera fand das alles nicht richtig und rief inbrünstig nach ihrem Gott, Der war tatsächlich einem kleinen Gespräch nicht abgeneigt.

"Nun, mein Findelkind, was ist denn jetzt schon wieder." Genüsslich räkelte sich der riesige Drache auf seinem gigantischen Hort.
"Ich verliere hier noch den Verstand. Mein Gefährte, den du als dein Mündel angenommen hast, treibt es mit Dämoninnen, mein Auftraggeber ebenso und ich verstehe einfach nicht, was hier meine Aufgabe ist."
"Wirklich nicht?"
"Nein, Meister, wirklich nicht. Wir sollen Böses aus der Welt schaffen, das habe ich verstanden. Jetzt sorgen wir dafür, dass Teufel und Dämonen zusammenkommen."
"Das ist doch gut. Diese Dämonin weiß über deine Vergangenheit Bescheid. Sie ist wichtig. Bleibe auf dem Pfad, mein Findelkind, und lass Dinge geschehen. Ihr beide beeinflusst andere, die wiederum andere beeinflussen. Der Stein teilt das Wasser. Die Kunst besteht darin, damit den Fluss zu lenken."

Wir wurden aus unruhigem Schlummer geweckt. Lilith erklärte uns, dass die Herrin Saira jetzt Zeit für uns hätte und führte uns in einen großen Saal. Der war üppig mit Diwans, kleinen Tischchen und ähnlichem Haremszubehör eingerichtet.
Die Dame das Hauses räkelte sich auf einem Diwan und war eine Attraktion. Sie war sehr weiblich, mit purpurfarbener Haut und ebensolchen Augen, die wir ja schon einmal in der Museumshalle in der Staubsäule gesehen hatten. Der offenherzige Bademantel verbarg nicht viel. Sie winkte uns gnädig zu zwei Sitzplätzen zu ihren Füßen. Dort standen Karaffen mit Getränken, darunter dem Geruch nach auch Kava. Dieses Getränk hatte ich zu schätzen gelernt, um dem Morgengrauen etwas entgegensetzen zu können. Ansonsten gab es Kuchen, klebrige Honigpasteten und andere Süßigkeiten.
Lilith baute sich im Hintergrund auf, für den Fall, dass wir Unsinn vorhatten. Saira begrüßte uns freundlich und fragte nach unserem Begehr. Ich verbeugte mich mit einem formvollendeten Kratzfuß.
"Edle Dame," hub ich an, "wir sind gekommen, um mit unserem Patron zu reden. Er vernachlässigt seine Pflichten in seiner eigenen Ebene, die dadurch Schaden nehmen wird."
"Und wer seid ihr, wenn ich fragen darf?"
"Oh Verzeihung edle Saira, wir sind die Agenten Ghaundar Vandree und Xera S'smaran. Herr Viridicus ist unser Patron."
"Ihr tut das für euren Patron? Müsstet ihr nicht froh sein, dass ihr gerade freie Zeit habt?"
"Natürlich sind wir über freie Zeit froh, aber Herr Viridicus ist ein guter Patron und wir befürchten, dass seine Abwesenheit zu Problemen bei seiner Stellung wie auch bei seiner Taschendimension führen wird."
"Das mit dem 'gut' habe ich aber anders gehört."
"Ach, ihr wisst ja, unzufriedene Elemente gibt es überall. Ich bin mir auch sehr sicher, dass die liebreizende Lilith euch als gute Patronin bezeichnen würde."
Sie lächelte. "Das würde sie bestimmt, ja. Und liebreizend hört sie selten."
Dann wurde sie wieder ernst. "Aber ich habe ihn doch gerade erst wieder gefunden und ihr wollt ihn meinen liebevollen Armen entreißen? Das ist doch nicht nett von euch."
Das hier war ein Spiel. Ein Spiel um hohen Einsatz. Die Frau war die beste Schauspielerin der Welten. Ich legte mein ganzes Charisma in den nächsten Satz.
"Aber wir wollen ihn euch doch nicht entreißen! Ganz im Gegenteil, uns ist nichts wichtiger als euer gemeinsames Glück! Seine Sammlungen sind berühmt und seine Agenten vortrefflich, um Gegenstände in den Welten zu besorgen. Auch ihr könntet jetzt auf diesen gut ausgebauten Apparat an motivierten Agenten zurückgreifen. Was gibt es, was ihr begehrt? Also an materiellen Gütern natürlich. Ich bin mir sicher, das Viridicus alle Hebel in Bewegung setzen wird, um es euch zu besorgen."
Sie sah mich mit einer hochgezogenen und sehr wohlgeformten Augenbraue an.
"Das ist eine Idee, über die ich durchaus nachdenken könnte. Hmm …"
"Ich habe ein Geschenk für Euch. Wisst ihr, was das ist?"
Ich hielt ihr eine Flasche des 'Sternenlichts' entgegen. Lilith wurde unruhig. Ich lächelte ihr zu.
"Bitte, überprüft das." Was sie dann auch tat und es für unbedenklich erklärte.

Dann tauchte unser Patron auf. Er wirkte rechtschaffen unausgeschlafen und war überrascht, uns hier zu sehen. Viridicus trug einen fliederfarbenen Bademantel, der einige Nummern zu klein war. Er sah aus wie eine aufgeplatzte Aubergine, aus der rötlich haariges Fruchtfleisch quoll. Mir war für einen Moment sehr unklar, was diese gottgleiche Schönheit an ihm finden konnte und dann fiel mir seine Verwandtschaft ein. Macht war durchaus ein Anreiz.
Saira wandte sich mit einem schmachtenden Augenaufschlag an ihn.
"Sieh nur Geliebter, deine treuen Agenten suchen nach dir. So sehr vermissen sie dich."
"Tun sie das?", brummte der Teufel. "Gerade jetzt? Wie haben sie überhaupt hierher gefunden!"
"Ja, eure Gönnerschaft, das war nicht einfach, aber wir sind einfach gut. Es tut mir wirklich sehr leid, aber wir müssen euch an eure Pflichten erinnern. Eine Taschendimension ohne ihren Herrn vergeht."
Ich war sehr ernst dabei.
"Warum sammelst du eigentlich all dieses komische Zeug?", fragte Saira.
Viridicus wirkte etwas betreten.
"Nun … also ... die Stücke in den Museen erinnern mich an dich."
Er schaute etwas beschämt zu Boden."
"Och wie süüüüß." Saira sprang auf und fiel ihm um den Hals. "Das würde ich mir gerne ansehen."
Ich nutzte die Gelegenheit, schlang ein Stück Kuchen hinunter und gurgelte eine Karaffe Kava hinterher. Dann kam mir eine Idee.
"Sagt, eure Gönnerschaft. Wenn sich alles zum Guten wendet, braucht ihr doch eigentlich eure Agenten nicht mehr, um Erinnerungsstücke zu beschaffen. Das allerschönste habt ihr ja jetzt und das Original ist unübertrefflich."
Viridicus stutzte für einen Moment und meinte dann: "Das mag stimmen, aber jetzt noch nicht. Natürlich brauche ich die Agenten noch und meine Besten brauche ich auf jeden Fall."
Schade, das war ein guter Gedanke gewesen.
"Aber wenn wir gehen, was passiert dann mit meiner Taschendimension?", wollte Saira wissen.
"Wahrscheinlich das Gleiche wie mit meiner," sagte Viridicus, "aber man könnte ein permanentes Portal erschaffen. Dann wären sie verbunden und wir könnten jederzeit ein und ausgehen und die Fehlzeiten gleichen sich auch aus."
Ich atmete langsam aus. Der kritische Moment war vorüber. Viridicus würde genau das tun und wir hatten ab dann zwei Patrone.

Also machte man sich fertig zur Abreise. Wir spazierten durch den Park zum Wagen. Vor Saira erschien eine steinerne Bogenbrücke, die den Fluss überspannte. Die Mondpiranhas schauten enttäuscht.
Die Wege waren weniger überwachsen, die Tierwelt ließ uns in Ruhe und es wirkte fast idyllisch. Der Radius ihres beruhigenden Einflusses war wohl so zehn Meter, wie ich bemerkte.
Auch die Schlucht wurde von ihrer Brücke überspannt. Man musste sich allerdings etwas beeilen, den hinter ihr löste sich die Brücke sehr schnell wieder auf.
Dann erreichten wir den Wagen, der sehr erfreut war, Viridicus zu sehen. Natürlich fuhr Viridicus. Natürlich kuschelte sich Saira auf den Beifahrersitz. Uns Subalternen blieb nichts anderes übrig, als uns auf der Ladefläche zu arrangieren, was mit den Ausmaßen von Lilith zu einer engen Angelegenheit wurde.
Nach kurzer Fahrt erreichten wir das Heim unseres Patrons. Das sah schon etwas schäbig aus. Die Scheiben der Museen, die einst so strahlend in der Sonne gefunkelt hatten, waren von Patina überzogen, das Gras wirkte schlaff und die Bäume ließen die Blätter hängen.
Am Haupthaus stiegen wir aus. Da der stolze Viridicus seine Saira zu einem Rundgang einlud, wollten wir zu Turkey. Heisere Entsetzensschreie gellten durch den Park, als wir uns zu dritt auf den Weg zum Restaurant machten. Lilith genoss das sichtlich.
Der arme Turkey bekam fast einen Herzinfarkt, als sich die Dämonin durch den Eingang quetschte. Wir beruhigten ihn, erzählten ihm, dass Viridicus wieder da sei und setzten uns zu einem leckeren Mittagessen nieder. Turkey überbot sich ob der glücklichen Nachricht in seinen Kochkünsten. Die restlichen Gäste ließen ziemlich viel Platz um uns herum. Das konnte ich ja überhaupt nicht nachvollziehen.
Turkey hatte auch ein Zimmer für die Dämonin. Dabei erfuhr ich, dass sein Gasthaus über eine recht flexible Zimmergestaltung verfügte und er die Zimmer nach der Größe der Bewohner anpassen konnte. Ich bestellte einen Whirlpool in Übergröße dazu und wurde prompt angemeckert, dass heißes Wasser für sie eine lauwarme Angelegenheit wäre und sie bereits die Schwefelsümpfe von Atzclan vermisse. Na gut, man kann nicht alles haben.
Xera fiel ihre Rüstung ein und so machten wir uns vor dem Abendessen auf den Weg zu Thorfinn. Lilith kam mit, um sich mal die Technik des 'Feindes' anzusehen. Ich glaube, hier ist noch ein wenig Erziehungsarbeit nötig.
Am Himmel des Taschendimension hatte sich etwas geändert: Es dämmerte. Der ewige Sonnenschein war Geschichte. Dafür spannten sich über den Himmel Szenen einer Beziehung, Viridicus und Saira Händchenhaltend am Strand, Viridicus und Saira auf dem Gipfel eine Berges, die Aussicht genießend und so weiter. Mir wurde ob so viel Süßholzraspeln leicht schlecht.
Thorfinn war fertig und präsentierte sein Schmuckstück. Lilith war etwas schlecht gelaunt, weil ihre Häutung bevor stand. Ich hatte eine famose Idee. Wie wäre es mit einer Jacke aus der abgelegten Haut der Geliebten? Sie schaute ein wenig seltsam drein, aber ihre Laune verbesserte sich. Was tut man nicht alles für die zwischenvölkischen Beziehungen!

Mittlerweile war es dunkel. Wir waren gut auf dem Rückweg, um den Pool zu testen, als der unvermeidliche Imp-Bote auftauchte und uns zum Glockenturm bat.
Dort saßen Saira und Viridicus Händchenhalten auf der Brüstung und beobachteten den Nachthimmel. Flüstern und kichern war zu hören. Xera räusperte sich.
"Ach, da seid ihr ja, meine Kinder", säuselte Viridicus. "Saira bat mich, nach euch zu schicken. Sie hatte etwas im Geist von dir", er fixierte Xera, "gesehen, etwas Vergessenes, Verschüttetes. Es scheint damit zu tun zu haben, warum du in der Hölle gelandet bist. Magst du es wissen?"
Xera war völlig überrascht und nickte.
"Gut, Gut. Meine liebe Saira wird dafür in deinen Geist sehen und die Erinnerungen hier im Raum projizieren. Dann ist es für die anderen auch nicht so langweilig."
Xera wirkte auf einmal unentschlossen, aber ich nahm sie in den Arm. "Schau, dann weißt du Bescheid. Bahamut hat es nicht gestört, wie du weißt."
Sie seufzte. "Dann mal los."
Saira gab ihr einen Schluck Ithildim zu trinken, nahm dann ihren Kopf in ihre Hände, lächelte noch einmal aufmunternd und ihre Augen verdrehten sich. In der Mitte des Raums entstand eine Projektion.

Ein kleines blauschuppiges Mädchen steht vor mehreren großen blauen Drachenstämmigen. Dem Alter nach würde ich sie auf 13 schätzen. Die blauen Alten reden auf sie ein und scheinen nicht erfreut zu sein. Das Mädchen hält eine kleine Puppe fest umklammert.
Die kannte ich, denn als ich aus alter Gewohnheit mal Xeras Rucksack am Anfang unserer Beziehung inspiziert hatte, war sie mir in die Hände gefallen. Die Puppe sollte wohl Bahamut darstellen und sie war sehr geliebt worden.
Das Mädchen ist im Wald unterwegs. Sie hat einen kleinen Rucksack dabei und ist offensichtlich auf der Suche.
Und mit Sicherheit von zu Hause abgehauen.
Das Mädchen steht nach längerer Wanderschaft vor einem uralten Gemäuer. Drachenköpfe schmücken den Eingang und dahinter sind gedrungene Gebäude zu sehen. Im Hintergrund sieht man eine abfallende Klippe, an deren Rand das Kloster gebaut wurde. Ein alter freundlicher silberner Drachenabkömmling unterhält sich mit ihr und geleitet sie ins Innere.
Das Mädchen ist in einem Schlafsaal. Außer ihr ist noch ein chromatischer Drache da, ein roter. Der Rest sind junge Metalldrachen, die sie misstrauisch beäugen. Sie sitzen in Lehrsälen, blättern in alten Werken in der Bibliothek und halten Messen zu Ehren Bahamuts ab.

Lilith gähnte sich neben mir einen ab.
Das Mädchen wird wach. Etwas stimmt nicht. Sie ist alleine in ihrem Schlafsaal. Vor Ferne hört man Trommelklang. Es steht auf und geht im Nachthemd auf die Suche. Unter dem Tempel scheint es einen alten Kellerraum zu geben, dessen Türe jetzt offen steht. Sie schleicht vorsichtig nach unten. Jetzt erschallen auch leise Ritualgesänge. Alle jungen und alten Drachen sitzen um einen Beschwörungskreis herum. In der Mitte des Kreises steht einer der Lehrer, ein alter Bronzedrachenabkömmling, der sie nie mochte, in einem chromatischen Gewand!
Das Mädchen zögert einen Moment, geht weiter zur Waffenkammer, die ebenfalls im Keller ist und holt sich dort einen Zweihänder. Die Waffe ist viel zu groß und zu schwer für sie, aber sie trägt sie lässig in ihren Händen.
Sie versucht, den alten silbernen Drachengeborenen zu holen, aber auch dessen Bett ist leer. Sie läuft durch alle Gänge, aber es ist niemand da, der ihr helfen kann. Sie ist alleine.

Was dann kam, überraschte selbst die abgebrühtesten Massenmörder unter den Zuschauern und da saßen und standen einige.
Sie stürmt schreiend in den Raum, das Schwert wirbelt durch die Luft und Arme, Beine und Köpfe hüpfen lustig durch den Keller. Blut spritzt und bildet riesige Pfützen auf dem Boden.
Ich habe ja schon öfter gesehen, was passiert, wenn sie sich aufregt, aber das war außergewöhnlich. Dann erlosch die Projektion. Xera taumelte und Lilith stützte sie, bevor sie stürzen konnte.
"Ich bin beeindruckt", flüsterte die Dämonin, "und das sage ich selten."
Ich nahm Xera in den Arm. "Dein Handeln war richtig. Ich glaube, Bahamut hat deine Erinnerung blockiert, damit du nicht in Schuldgefühlen ertrinkst. Du hast dich als wahre Glaubenskriegerin erwiesen."
"Aber ich bin deswegen in der Hölle gelandet!"
"Schau, ich war auch ein netter, friedlicher und loyaler - gut, das friedlich streichen wir - Dunkelelf, der alles getan hat was ihm seine Kultur vorgegeben hat. Ich bin auch hier. Es wird einen Sinn haben. Dein Gott besucht dich und sagt dir, dass du auf dem richtigen Weg bist. Er hat dir auch einen Hinweis gegeben: 'Nicht alles, was meine Farben trägt, ist auch von meinem Geist'. Kann also alles nicht so schlimm sein."

"Willst du noch einmal zu dem Kloster reisen, um damit abzuschließen?", fragte Viridicus, für seine Verhältnisse sogar recht einfühlsam.
"Ja, ja, ich glaube, das wäre gut", murmelte Xera.
Saira klatschte in die Hände. "Eine famose Idee. Vielleicht kannst du mir etwas mitbringen? Hier fehlt es an Leben. Dort ist auch ein kleiner Hund. Wenn ihr den mitbringen könntet?"
Mir schwante Böses. "Ein kleiner Hund? Wie in 'Hund, wohnt im Haus und macht Kunststückchen'?"
Sie nickte. Ich glaubte ihr kein Wort.
"Er ist etwas unerzogen, aber das bekomme ich hin."
"Hat er drei Köpfe?"
Sie sah mich seltsam an. "Nein?"
Viridicus sagte noch, dass wir den Behemoth für den Transport bekommen würden. Den sollten wir dann aber bitte irgendwo gut getarnt abstellen und das Kloster heimlich erkunden.
Also gingen wir schlafen. Heute einmal ohne Lilith, weil ich morgen früh meinen gesunden Körper brauchen würde. Sie meinte, das wäre in Ordnung, sie würde mit dem Häuten anfangen und da könnte sie keine Zuschauer gebrauchen.
Kein Plan reicht mit einiger Sicherheit über das erste Zusammentreffen mit den Spielern hinaus.
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Re: Tales from the Table (D&D 5E): Death men don't wear plate

Beitrag von Mercen »

Burgfest 1

Ich hatte während meiner Trance einen wunderschönen Tagtraum. Ich stehe in der Halle der Matrone des Hauses Vandree. Bei mir sind Xera, Lilith und Saira und ich erkläre meine Schwester für abgesetzt. Hinter uns liegen die Leichenteile aller Drow des Hauses, die sich uns widersetzt haben. Ach, was für ein glückseliger Moment.
Was, wenn es kein Traum bliebe? Den Weg von der einfachen Schwarzelfin zur Dämonenprinzessin und dann zur Göttin hatte Lolth ja auch schon zurückgelegt. Saira würde auf einem viel höheren Niveau starten. Man müsste nur die Drow von der Alternative überzeugen. Ich glaube, ich warte mal eine Weile ab. Diese Dame scheint nach Höherem zu streben und bevor es wieder destruktiv wird in ihrer Beziehung zu Viridicus, könnte man ihren Ehrgeiz in nützliche Bahnen lenken.
Ich erzählte Xera von der Idee. Die sah mich an, als wäre ich wahnsinnig geworden.
"Du willst eine Dämonin gegen eine andere tauschen? Was soll das bringen?"
"Du hast mir erzählt, dass wir nach Ansicht deines Gottes auf den richtigen Pfad sind. Schau, wir haben einen gefallenen Engel, der in der Hölle gelandet war. Sie hat Ehrgeiz und deswegen ist sie von Viridicus in den Abyss verbannt worden. Jetzt sind sie wieder zusammen, was eigentlich unmöglich ist, und sie spielt das Schnuckelchen, das kein Wässerchen trüben kann. Ihr Ehrgeiz wird wieder durchbrechen und dann geht das Ganze von vorne los. Diesmal wird sie sich aber nicht übertölpeln lassen. Also richtet man ihren Ehrgeiz auf ein Ziel, das unerreichbar scheint, aber die höchste Belohnung verspricht. Viridicus hat schon recht, wenn er sagt, dass die Drow ihren moralischen Kompass verloren haben. Die Spinnengöttin ist das allerletzte. Wir waren früher anders, machtversessen ja, aber doch bitte mit Verbündeten und Freunden und so."
Xera schwieg für einen Moment.
"Seid ihr eigentlich alle so?"
"Was Intrigen und Pläne angeht? Ja. Die meisten anderen Drow sind allerdings deutlich skrupelloser als ich. Ich bin mir auch sicher, dass viele Drow es bevorzugen würden, nach dem Einschlafen am Morgen auch wieder aufwachen zu können. Je höher du im Rang bist, desto unwahrscheinlicher ist das nämlich."
"Das ist doch keine lebenswerte Gesellschaft."
"Natürlich ist es das nicht. Vielleicht bietet sich hier die Gelegenheit, daran etwas zu ändern. Drow und Drachen habe eine seelische Verwandtschaft, da bin ich mir sicher. Es gibt nur leider so gut wie keine Drow mehr, die wie Metalldrachen denken."
"Und du glaubst, dass Bahamut das gut findet?"
"Er hat mir ein Geschenk gemacht, obwohl ich kein Anhänger von ihm bin. Naja, ich gewisser Weise natürlich schon, aber nicht so religiös geprägt wie du. Ich bin jetzt ein zar'ithra und ich muss mich dieses Geschenks als würdig erweisen. Ich bin ein Drow und ein Attentäter. Das weiß er. Mein Pfad ist vielleicht ein anderer als deiner, ich weiß es nicht. Wenn man ein ganzes Volk zum Besseren - nicht zum Guten, möchte ich betonen - bekehren kann, dann wäre das doch toll, oder?"
"Vielleicht hast du recht. Du hast mir mal gesagt, dass ich nie die Absichten meines Gottes zu verstehen versuchen soll.", sagte sie nachdenklich.
Ich lächelte. "Er hat ja auch ein paar zehntausend Jahre mehr Zeit gehabt, Spielfiguren zu bewegen."
"So siehst du uns?"
"Natürlich. Aber wir sind besondere. Schließlich besucht er dich recht häufig. Ich kenne Hohepriesterinnen, die hatten noch nie persönlichen Kontakt zu ihrer Göttin."

Xera: Ich bin also der Stein - oder einer der Steine - der das Wasser teilt. Manchmal verabscheue ich diesen Schwarzelfen und seine Beredsamkeit. Leider hat er damit meistens Erfolg. Was er vor Saira und Viridicus abgezogen hatte, war Diplomatie vom Feinsten.

Behemoth wurde gerüstet, aber nur für den Transport. Wir sollten besser zu Fuß gehen. Schade, ich hätte gerne die Bösen mit dieser Maschine eingeäschert.

Wir landeten in der Morgendämmerung auf einer Waldlichtung. Das Grollen des Purgatoriumantriebs erlosch und Schweigen senkte sich über die Lichtung. Das Pentagramm im Boden hörte auf zu glühen und hinterließ einen schwarzen Abdruck im Gras.
Die ersten Vögel begannen, zaghaft zu singen. Der Bordteufel bekam noch den Befehl, den Wagen gegen jeden Angriff zu verteidigen und dann machten wir uns auf den Weg. Nach kurzer Zeit stießen wir auf einen Waldweg. Ich markierte die Stelle an zwei Bäumen.
Wir gingen den Weg entlang und hofften, dass wir in der richtigen Richtung unterwegs waren. Xera sagte das hier alles gar nichts.
Nach kurzer Zeit sahen wir ein Flämmchen zwischen den Bäumen aufflackern. Da machte wohl jemand gerade ein Feuer. Wir beschlossen, dass ich mir das erst einmal in Ruhe ansehen sollte. Ich pirschte mich mit aller gebotenen Vorsicht an das Lager heran. Ich sah zwei Zelte, die man sehr versteckt aufgebaut hatte. Eine in einen Kapuzenmantel gehüllte Gestalt machte gerade Frühstück, so wie es aussah.
Nach einer guten Viertelstunde ging er mit einem Teller voll Essen in eines der Zelte. Dabei schlug er die Kapuze zurück. Es war ein Yuan-Ti. Auf der Stirn hatte er ein silbern schimmerndes Mal.
Ich robbte zurück und erzählte Xera davon. Unser Plan war, dass sie auf der Straße zu diesem Lager gehen und freundlich sein sollte. Ich würde mich wieder zurück schleichen und bei eventuellem Ungemach mit der Armbrust eingreifen.
Ich war gerade glücklich angekommen und hatte den Mann im Visier, als ich bereits Xera hörte.
"Bahamut zum Gruß!", rief sie.
"Bahamut? Komm her."
Xera betrat das Lager.
"Ich bin Xera, eine Glaubenskriegerin des Bahamut. Wer bist du?"
"Ich heiße Izzrilith und bin ein Priester desselben Gottes. Was für ein interessantes Zusammentreffen. Ich hatte eine Vision, dass Leute meine Hilfe benötigen würden. Ich sah Pestilenz, ich sah Hass und ich sah Tod. Die Leute habe ich gefunden und jetzt schütze ich sie."
"Das ist sehr löblich. Wer sind denn diese Leute?"
Er rief zu den Zelten hin: "Es ist alles in Ordnung! Meine Gebete wurden erhört."
"Vor was beschützt du sie denn?"
"Ich bin mir noch nicht sicher. Ich glaube, es gab eine Invasion aus den unteren Ebenen. Die Felder vertrocknen, die Brunnen sind vergiftet und die Leute sind wahnsinnig geworden. Sie trachten nach dem Leben dieser armen Leute. Man muss den Kern des Problems angehen, aber, ehrlich gesagt, alleine habe ich mich noch nicht getraut."
"Keine Sorge, nun bin ich ja da. Ich bin auch nicht alleine. Nicht erschrecken, es ist ein Dunkelelf, aber er ist mein Freund."
Aus einem der Zelte kletterte ein Halblingsmann. Er sah aus, als wäre er an schwere Arbeit gewöhnt.
"Hallo, ich bin Xera."
"Ich heiße Hermann. Wir waren auf der Flucht und Izzrilith hat uns geholfen, uns zu verstecken."
"Wie gesagt, ich habe auch einen Freund dabei. Ghaundar, komm doch mal her."
"Ich wüsste gar nicht, was ein Dunkelelf ist", sagte Hermann.
Ich richtete mich auf und betrat die Lichtung. Hermann erschrak natürlich.
"Huch, der Schwarze Mann."
"Dir auch einen schönen guten Morgen."
Das Hemd trug ich offen, das Bahamut-Amulett war gut zu sehen, ebenfalls die grauen Drachenschuppen.
"Komm doch mal raus, mein Schatz und lerne unsere neuen Freunde kennen." Hermann wandte sich zu dem Zelt hin. Aus dem Schlitz schob sich der Kopf eines kleinen Mädchen, dass uns ein wenig ängstlich betrachtete. Sie war so gegen 10 Jahre alt, schätzte ich.
"Das ist meine Elena. Es geht ihr gerade nicht so gut wegen unserer Flucht und so."
Wir unterhielten uns ein wenig, ihre Schüchternheit ließ nach und wir setzten uns an Feuer. Ich fragte nach dem Drachentempel. Irgendwas stimmte nicht, denn der Priester schien den Tempel zu kennen, hatte ich den Eindruck. Er erzählt aber nur von der Burg und der umgebenden Stadt und dass das Unheil von dort seinen Lauf genommen hätte. Das hier ist die Baronie Pius und der jetzige Baron heißt Gotthelm.
Hermann erzählt noch, dass mitten in der Nacht plötzlich eine Meute von Dorfbewohnern zu seinem Hof kam. Er lebte etwas außerhalb und erfreulicherweise hatte er sie schon von weitem gesehen. Er schnappte sich sein Töchterchen und sie nahmen die Beine in die Hand. Die schienen etwas zu suchen, aber er wusste nicht was.
Xera setzt ihr Gespür ein, aber von dem Yuan-Ti kam nur eine schwache celestische Aura. Dann fiel mir noch etwas ein.
"Sagt, Herr Hermann, welches Jahr schreiben wir gerade?"
"Ähm, da muss ich mal nachdenken, aber ich glaube es ist das Jahr 1869."
Huch? Vielleicht hat die Baronie ja einen eigenen Kalender, wer weiß. Izzrilith meinte, dass es in der Burg wohl Chroniken geben könnte, vielleicht würde mir das weiterhelfen.
"Aber bei der jetzigen Situation kann ich mir nicht vorstellen, dass ihr dort Zutritt erhalten werdet."
"Ach," lächelte ich, "wir hatte bisher nie Probleme, irgendwo Zutritt zu erhalten. Schwierigkeiten ja, aber nie Probleme."
"Das glaube ich sogar. Ich werde euch nicht aufhalten."
Ich lächelte weiter. "Das könntest du auch nicht."
Dann fuhr ich fort. "Da das Übel in der Burg begonnen hat, sollten wir uns auch darauf konzentrieren und dort mit dem Aufräumen anfangen. Wir wissen aber leider noch nicht viel, außer, dass hier alles verdorrt, dass es Bestien geben soll und dass die Bevölkerung sich gegen ihre Mitbürger wendet. Wir benötigen zwei bis drei Gefangene, verhören sie und nageln sie zur Abschreckung an die Bäume. Dann …"
"Ghaundar!" Xera wirkte empört und Izzrilith starrte mich entsetzt an.
"Das machen wir nicht" sagte sie bestimmt. Ich musste lachen.
"Er neigt manchmal zu schlechten Scherzen. Was machen wir mit der Halblingsfamilie? Sollen wir sie mitnehmen?"
"Wenn wir sie mitnehmen, dann sind sie schneller tot, als ein Schneeball in der Hölle schmilzt", erwiderte ich. "Wir können sie nicht beschützen, wenn wir kämpfen müssen."
"Aber sie alleine im Wald lassen?"
"Also, ich finde, dass es hier recht sicher ist. Und aus der Richtung, in die wir gehen, kommt nichts Lebendes mehr hierher."
"Scherzt er jetzt schon wieder?" fragte Izzrilith irritiert.
"Nein", sagte Xera, "jetzt hat er recht."
"Wir suchen einen Platz, der etwas versteckter ist als der hier. Und ihr dürft kein Feuer anzünden. Wir sich auch erst durch euer Kochfeuer auf euch aufmerksam geworden", meinte ich.
"Was? Keine Bratkartoffeln?" Hermann wirkte entsetzt. "Wir werden verhungern."
"Entweder ihr verzichtet für zwei bis drei Tage auf Bratkartoffeln oder ihr seid der Hauptgang von jemand anderes. Ich kann dafür sorgen, dass die Rationen nach Bratkartoffeln schmecken. Oder nach Schokoladenkuchen. Das muss reichen. Wir gehen dann mal auf die Suche nach einem schönen Platz ohne Ameisen. Das Feuer hier löschen wir."
Ich schnippte mit den Fingern und das Feuer war aus. Elena schaute sehr interessiert.
"Ich liebe diesen Spruch. Schnipp, Feuer an, schnipp, Feuer aus. Prima, gell?" Sie nickte enthusiastisch.
Wir fanden nach etwas Suchen eine nette neue Lichtung und richteten uns ein. Die beiden bekamen jeder vier Rationen. Das Ganze hatte einige Zeit gedauert und so würden wir erst am nächsten Morgen aufbrechen und die beiden Halblinge hier mit den Rationen zurücklassen.
Herbert zeichnete uns einen ungefähren Grundriss des Dorfes und der Burg. Zum ersten Mal hatten wir den Eindruck, dass wir hier richtig sein könnten. Die Burg lag an einer Klippe, umgeben von einer Mauer. Dann kam der Ring der Adeligen und Kaufleute, ebenfalls von einer Mauer umgeben. Darunter lag das Dorf, also die Bauern. Es gäbe so etwa ein paar dutzend Wachen in der Burg.
Wie viele? Das ist für ein Dorf aber eine ganze Menge. Wofür braucht man die?
In der Nacht sah ich, dass Klein-Elena etwas konnte, was nicht viele können. Sie hielt ihre Hand über die Wiese und kleine Blümchen erschienen! Gänseblümchen, so wie es aussah. Interessant. Jedenfalls kam sie mit der Natur deutlich besser zurecht als ich.
Ansonsten schien das hier eine friedliche Welt zu sein, denn sie erschraken bei den harmlosesten Geräuschen im Wald und schwafelten von Bestien.

Am Morgen brachen wir zu Dritt auf. Vom Waldrand aus sahen wir auf eine hügelige Landschaft mit verstreut liegenden Gehöften hinab. Die Felder waren braun und vertrocknet. Was nicht vertrocknet war, verfaulte vor sich hin. Xeras Blick enthüllte ihr, dass hier jemand nachgeholfen hatte. Es lag eine unholde Aura über dem Land. Selbst auf die Entfernung konnte man Anzeichen von Gewalteinwirkung erkennen. Einige Häuser waren niedergebrannt worden. Dann mal los.
Wir wollten uns das genauer ansehen und so steuerten wir auf einen niedergebrannten Hof zu. Was war mit den Bewohnern passiert? Das wäre interessant zu wissen. Leichen fanden wir keine. Das Dach war zwar zusammengebrochen, aber man hätte sie riechen müssen.
Dann wollten wir ein intaktes Gehöft aufsuchen. Nach kurzer Zeit erreichten wir eins. Scheiben waren eingeschlagen und die Tür aufgebrochen worden. Man schien etwas gesucht zu haben. Umgestürzte Möbel und offenen Truhen zeugten von der nicht friedlichen Handlungsweise der Durchsuchenden. Im Kamin fand ich ein Geheimfach, welches ein Amulett enthielt. Magisch war es nicht und schien etwas Religiöses zu sein. Kennen tat es keiner von uns, aber es wirkte wie die lokale Erntegottheit.
Dann hörten wir von weiter weg das Gemurmel einer aufgebrachten Menschenmenge. Nach kurzer Zeit sahen wir eine Menge an Bauern, die sich mit Sensen, Mistgabeln und Fackeln bewaffnet dem Gehöft nähern. Die Menge wirkt sehr ungepflegt. In der Mitte war ein hochgewachsener Mann, vielleicht so Mitte 60, der Lederkleidung trug und eine schwere Armbrust in den Händen hielt.
Wir machten uns im Inneren unsichtbar. Leider schien der desolate Zustand des Gebäudes die Menge nicht abzuschrecken und sie wollten wohl nachsehen, ob jemand hier war.
"Woher wissen die, dass hier jemand ist?" fragte Xera niemand im Besonderen. "Die waren doch schon hier."
"Vielleicht hat ihnen das der Boden gemeldet: 'Achtung, Eindringlinge im Revier', meinte ich.
"Das halte ich für weit hergeholt."
"Was denn. Ist doch erst einmal eine begründete Annahme. Ich glaube mal nicht, dass die hier jeden Morgen eine Runde drehen und prophylaktisch nachsehen."
Die Menge hielt so in etwa zehn Metern an und verteilte sich auf die Befehle des Ledermannes um das Haus herum. Izzrilith hatte was zu sagen.
"Denkt dran, das sind Menschen, die verwirrt sind. Also heilen, nicht töten. Das ist die Lehre von Bahamut."
Leider vertrug sich diese Art von Pazifismus im Angesicht von potentieller Gewalt nicht mit meiner Drow-Mentalität und ich schoss auf den Anführer. Ein super Schuss. Der Bolzen steckt in seiner Schulter und er taumelt kurz, aber der alte Mann war robust. Die Bauern neben ihm schauten entsetzt auf den zitternden Bolzen. Der Mann zog sich feige hinter einen Bauern zurück und schrie: "Brennt es nieder. Da sind Eindringlinge!"
Die Menge brüllte auf und setzte zum Sturm auf das Gebäude an. Der Ledermann zog sich noch ein Stück zurück. Ich warf eine Dunkelheit auf einen Bereich, in dem sich einige Bauern befanden. Entsetzensschreie wurden laut.
"Ein Schwarzmagier! Wir kämpfen gegen einen Schwarzmagier!"
Ich nahm wieder Deckung hinter den Rahmen. Der Yuan-Ti zog sich von der Tür zurück und versuchte ein paar Bauern zu bezaubern. Das wirkte jetzt nicht so toll und sie versuchten im Gegenzug, einzudringen und den Priester zu schlachten.
Xera rannte nach draußen und wollte sich zum dem Anführer durchzuschlagen. Dabei rannte sie durch die Dunkelheit und schubste einige desorientierte Gestalten beiseite.
Der Ledermann hob seine Armbrust und feuerte auf die Paladinin. Die Armbrust war eine Spezialanfertigung. Sie hatte einen Aufsatz, in dem sich offenbar mehrere Bolzen befanden und sie hatte zusätzlich seltsam geformte Rädchen und Seilzüge montiert. Von den drei Schüssen traf aber erfreulicherweise nur einer. Vier Bauern umzingeln Xera und versuchten, sie abzustechen, was sich bei ihrer neuen Rüstung als schwierig erwies. Dafür wurde Xera erneut von dieser Armbrust erwischt.
Mittlerweile brannte das Dach. Durch mein Fenster, unter dem ich kauerte, schaute ein junger Mann herein, seine Bauernkappe keck auf dem Kopf drapiert. Mein Schwert drang durch seinen Kiefer in seinen Schädel, hob die Kappe kurz an und wurde wieder heraus gezogen. Sein Blut tropfte auf mich herab, als er röchelnd verschied. Ich zog mir mit meinen Fingern eine blutige Spur durch mein Gesicht und aktivierte meine magischen Kräfte, denn ich wollte gleich zaubern. Brüllend und in lapisblaue Flammen gehüllt, sprang ich aus dem Fenster. Wenn schon Schwarzmagier, dann aber auch richtig. Der Bauer, der mich aufhalten wollte, versagte bei seiner Aufgabe völlig und stach sich vor Angst in den eigenen Fuß.
Xera riss sich von den Bauern los, bekam leider noch eine Harke in den Rücken und rammte den Ledermann um. Dann versucht sie ihn mit einem Schutzspruch von seiner Besessenheit zu heilen. Leider war er nicht besessen. Der schien aus freien Stücken zu handeln.
Die Bauern fielen über Xera her und versuchten, sie von ihrem Anführer herunterzuziehen, was ihnen mit vereinten Kräften auch gelang. Sie wurde heruntergezerrt und ein Stück weit weggeschleppt.
Der Anführer rief den Bauern zu, dass sie Xera festhalten sollen und rannte davon. Ich verfolgte ihn, weil ich glaubte, dass Xera mit den Bauern alleine fertig werden könne. Es würde allerdings etwas dauern, bis ich in Spruchreichweite kommen würde. Der alte Mann war noch recht rüstig.
Xera schlug in der Zwischenzeit systematisch die Bauern bewusstlos. Izzrilith schrie die ganze Zeit herum, dass man arme Bauern nicht töten solle und rief den Bauern zu, dass sie endlich verschwinden sollen.
Anstatt sie zu fesseln, wie Xera rief, fing der schwachsinnige Yuan-Ti an, die Bauern zu heilen. Dafür wurde Xera von zwei weiteren Bauern mit Äxten malträtiert und diese für diese böse Tat außer Gefecht gesetzt, einer davon endgültig.
"Du bist ein schlechter Kampfgefährte", schrie Xera.
"Weißt du überhaupt was es heißt, ein Bahamut-Gläubiger zu sein?", giftete Izzrilith zurück. "Du suchst nur eine Rechtfertigung, um Leute abzuschlachten."
Er spuckte aus. "Massenmörder."

Xera: Den will ich nicht mehr dabei haben. Ich sollte Ghaundar von dem Problem erzählen. Der würde freundlich nicken und es dann auf seine recht endgültige Art und Weise lösen. Aber ich weiß nicht, ob Bahamut das gut finden würde. Irgendwas hat sich entweder in den letzten Jahrhunderten verändert oder dieser Schwachkopf hier hat was falsch verstanden. 'Bekämpfe das Böse!' war immer die Devise gewesen und 'Mit allen Mitteln'. Was war daraus geworden?

Ich kam endlich in Reichweite des vorbereiteten Spruches. Der Hexenpfeil raste auf ihn zu und der Mann, der etwas geahnt zu haben schien, warf sich zu Boden. Der Spruch rauschte über ihn hinweg. Dunkelelfische Flüche erfüllten die Luft. Dafür schoss er ebenfalls daneben. Der zweite Hexenpfeil traf endlich und Energie begann, seinen Körper zu malträtieren. Ärgerlicherweise traf er mich im Gegenzug mit seine Armbrust so richtig in die Vollen. Es gelang mir leidlich, die Konzentration zu halten und ihm weiter Schaden zuzufügen. Der verdammte alte Mann war ein recht robustes Kerlchen.
Ein weiterer Schuss traf mich und diesmal verlor ich die Konzentration. Langsam wurde es eng. Aber ich habe noch mehr von den Dingern und ein neuer Spruch traf ihn. Er wirkte nicht mehr besonders gesund und ich hoffte, dass er langsam mal umfallen würde. Nach einem weiteren Fehlschuss seinerseits brach er dann endlich zusammen. Er wurde gefesselt und leider musste ich ihm einen Heiltrank einflößen, damit er nicht abnippelte. Dann baute ich eine Schlepptrage aus den restlichen Metern Seil und zog ihn ächzend zurück zum Bauernhaus. Dabei nahm ich keine Rücksicht auf Steine und faulende Kohlköpfe.

Endlich kam ich wieder an, blutend, verschwitzt und keuchend. Die Bauern hatten sich entweder verzogen oder standen herum, von Izzrilith ins Koma gefaselt. Wir wandten uns denen zu, die gefesselt herumlagen und begannen mit den Verhören. Xera gab die Nette und fing an.
"Warum habt ihr uns überfallen?"
"Wir suchen doch nach dem Mädchen."
"Was für ein Mädchen?"
"Na, das Opfer."
"Ihr wollt ein Mädchen opfern? Warum denn das um alles in der Welt?"
"Dann soll die Fruchtbarkeit wieder kommen. Uns wurde gesagt, dass das die einzige Möglichkeit sei."
Xera wirkte rechtschaffen entsetzt.
"Ihr würdet einen Menschen dafür opfern?! Wer hat euch das gesagt."
"Wolfgang, der Jäger. Und der hat es wohl vom Baron."
"Welches Mädchen genau? Es scheint ja ein spezielles zu sein, habe ich den Eindruck" warf ich ein. In mir keimte ein Verdacht.
"Wir wollen doch nur, dass wir wieder so reiche Ernten wie früher haben."
"Das kann ich verstehen, aber nicht mit Menschenopfern." Xera war sehr bestimmt.
"Ich glaube, dass in der Burg jemand ist, der das Menschenopfer für sich will. Weil er es nicht bekommt, hat er die Pestilenz geschickt. Man müsste mit der Burg anfangen" meinte ich.
"Ja, ja. das hört sich vernünftig an. Wir sind viele. Wir sollten die Burg stürmen."
"Gegen dreißig oder mehr Wachen hinter den Mauern habt ihr keine Chance. Aber die Idee ist gut. Das würde für die Ablenkung sorgen, die wir brauchen, um in die Burg zu kommen. Dort können wir das Problem lösen. Und ihr sterbt nicht wie die Fliegen."
Was redete ich da eigentlich? Die Anderen waren mir doch früher herzlich egal.
"Ich verstehe völlig, dass ihr eure Ernten wieder haben wollt. Aber nicht so. Die Heilige Streiterin hier hat völlig recht, dass man keine Menschen opfert."
Dann nahmen wir uns den Ledermann vor. Ein paar Ohrfeigen später wurde er wieder wach.
"Ja, mein Lieber, der Albtraum ist noch da" grinste ich. "Wie heißt du eigentlich?"
"Wolfgang."
Das hatte ich mir jetzt fast gedacht.
"Warum stachelst du sie an? Und hör auf an deinen Fesseln zu zerren, sonst zünde ich dich an."
Er lag nicht still. "Besser hier ein paar Gehöfte abfackeln, als die Stadt anzuzünden. Die brauchen ein Ventil für ihren Frust."
Ich holte eine kleine Phiole aus meinem Beutel, entkorkte sie vorsichtig und hielt sie unter seine Nase.
"Weißt du, was das ist?"
Er schüttelte den Kopf.
"Das ist Alchemisches Feuer."
Ich ließ zwei Tropfen neben ihn auf das Gras fallen, welches mit einer netten kleinen Stichflamme in sich zusammenfiel.
"Wenn du nicht sofort aufhörst, an deinen Fesseln zu zerren, dann schütte ich dir das in den Mund. Verstanden?"
Er nickte und blieb ruhig liegen.
"Wenn du die Bauern anstachelst, damit die nicht die Stadt angreifen, was ist denn passiert?"
"Ich weiß nicht, was im Thronsaal passiert ist, aber wir brauchen ein Opfer, damit das Ganze nicht explodiert. Die Situation steht eh kurz vor dem Kollaps."
"Warst du mal in der Burg in der letzten Zeit?"
"Nun, ich wohne da. Meine Jagdhütte steht da drin. Aber ich betrete nicht den Bergfried, wenn ihr das meint."
Xera fragte ihn noch nach Drachen und Tempelresten unter den Kellern, aber er wusste nichts davon.
"Aber ich glaube," fuhr er fort, "ihr sucht etwas Spezielles? Ich habe Zugang zum Inneren der Burg und ich könnte euch da rein bringen. Natürlich nur, wenn ihr ein wenig Entgegenkommen zeigt."
"Darüber denke ich gerade nach. Du bist der Burgjäger?"
"Ja?"
"Gibt es hier in der Gegend einen Tempel mit Drachenstatuen?"
"Nein, davon weiß ich nichts. Es gibt einige elfische Überreste, aber nichts mit Drachen."
"Welches Jahr schreiben wir?"
"1869 DR, der Schwertküstenkalender."
"Wir sind 500 Jahre in der Zukunft?" Ein Leuchten überzog mein Gesicht. "Wir sollten mal sehen welche Grundstücke hier prächtig bebaut sind. Dann reisen wir zurück, kaufen sie auf und verscherbeln sie in der Zukunft für viel Geld. Ich denke da an ein etwas längerfristiges Investment."
Gut, war nur ein Gedanke. Dann wandte ich mich wieder unserem Gefangenen zu.
"Pass mal auf, Freund Wolfgang, wir haben gerade ein Problem. Mit dir."
"Ja?"
"Wir ziehen deine Redlichkeit in Zweifel. Wir geben dir unser Wort, dass wir versuchen, das Übel in der Burg auszumerzen. Wir vermuten, dass der Bergfried auf einem alten Heiligtum gebaut wurde, von dem das Böse ausgeht."
"Ich denke, ich kann euch in das Innerste bringen. Ab da seid ihr auf euch selbst gestellt."
"Das ist ja nett, aber wie verhindern wir, dass du, kaum dass wir dort angekommen sind, uns an die Schergen des Barons auslieferst?"
"Das wäre meine beste Option, nicht wahr?"
Ich nickte.
"Ich könnte es versprechen?"
"Ich könnte dir nicht glauben? Wir müssen etwas tun, was dich an dein Versprechen bindet. Weißt du eigentlich wer ich bin?"
"Ich … ich habe dich schon einige Male spät nachts im Wald gesehen."
"Bitte wie?" Erstaunen breitete sich auf meinen Zügen aus. "Dann weißt du ja auch, von welchem Volk ich stamme?"
"Klar, Walddämon."
"Nicht ganz. Sagt dir der Begriff 'Dunkelelf' oder 'Drow' etwas?"
"Eigentlich nicht, aber der erste Name passt ganz gut."
"Du hast also nie von Dunkelelfen gehört? Das ist schade. Man nennt uns auch die Meister der Gifte."
"Aha."
"Egal. Ich gebe dir eine Tinktur zu trinken, die dich sehr schmerzhaft nach 72 Stunden tötet, wenn du nicht das Gegenmittel bekommst. Sobald wir drin sind, gebe ich es dir."
"Aha. Habe ich eine Wahl?"
"Eigentlich nicht. Du musst ja nur, wenn wir drin sind, die Klappe halten und nichts tun. Kann ja nicht so schwer sein."
"gut, dann machen wir das so."
Ich war mir so gar nicht sicher, ob er mir das geglaubt hatte. Aber leider war er unsere beste Option.

Izzrilith wollte allerdings weiter über unnötige Gewalt diskutieren und redete auf Xera ein.
"Wenn eine Ratte von der Katze in die Ecke getrieben wird und beißt, ist das die Schuld der Ratte oder der Katze?"
"Wir waren ja wohl die Ratten. Schließlich wollten sie uns verbrennen." Sie war ein wenig aufgebracht. "Mein Lieber, wir wollen hier nicht philosophisch herum diskutieren. Für deinen Bahamut-Glauben muss ich mich wirklich fremdschämen."
Ich versuchte zu vermitteln.
"Das ist wohl der Unterschied zwischen einer Heiligen Streiterin und einem … pff … Mönch?"
"Zwischen einer Kriegerin und einem tatsächlich Heiligen, das stimmt" sagte der Yuan-Ti. Gleich haue ich ihm aufs Maul.
Er fuhr fort: "Du missverstehst mich. Ich bin nicht dagegen, dass man gegen das Böse die Klinge erhebt. Wenn wir auf Dämonen und Unholde stoßen, dann erhebe dein flammendes Schwert gegen sie. Aber bitte verschone die, die nichts dafür können und verführt wurden."
"Metzele ich hier Bauern nieder, oder was? Ich habe mich bemüht, sie nur außer Gefecht zu setzen."
Izzrilith zeigte anklagend auf die umher liegenden Bauernleichen. Xera zuckte mit den Schultern. "Das lässt sich ja nun nicht mehr ändern. Bahamut besucht mich in meinen Träumen und sagt, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Kommt er zu dir?"
Izzrilith zuckte mit den Schultern. "Richtiges Handeln geschieht auf vielerlei Weise."
"Und deine Weise ist die richtige? Das ist dreist."
"Ich bitte dich doch nur, keine armen Leute zu töten. Alles was Hörner hat, magst du gerne erschlagen. Ich werde mich um die Fehlgeleiteten kümmern."
"Also gut," sagte ich und grinste diabolisch, "wir erschlagen alles, was Hörner hat. Den Rest überlassen wir ihm. Oder ihn dem Rest." Ich machte eine kleine Pause. "Die untoten Priester von Zuggtmoy hatten keine Hörner, oder Xera?"
Die begann zu grinsen, als sie verstand und schüttelte den Kopf. Ich fuhr fort. "Natürlich gibt es auch Dämonen ohne Hörner. Hast du jemals etwas von der Art der Marilith gehört? Ich bin da zufälligerweise mit einer gut bekannt. Die hat keine Hörner, aber dafür sechs Arme, mit denen sie dich knuddeln wird."
Er seufzte. "Na gut, wollen wir?"
"Wie? Was denn?", wollte Xera wissen.
"Na, aufbrechen natürlich. Ich werde mich erst einmal im Dorf umhören und den Leuten helfen."
"Dann rede wenigstens nicht über uns. Es wäre blöd, wenn einer deiner geheilten Bauern zum Tor läuft und uns verrät. Wir werden auch so genug zu tun haben. Ich hoffe, da sind keine 30 Wolfgangs", seufzte Xera
"Nein," meinte ich, "Wolfgang sieht sich selbst als herausragend an. Dann wäre da noch der Hauptmann der Wache. Aber die Wächter sind halt Wächter. Die wollen wir ja auch nicht angreifen, sondern möglichst ohne Kampfhandlungen zum Zentrum des Bösen vordringen."
Ich zwinkerte Xera zu.
"Wolfgang bringt uns nahe genug ran, also in den inneren Ring. Der Rest ist, wie immer, Improvisation."
Dann brachen wir auf, also die Bauern, Wolfgang, Izzrilith und wir zwei. Ein schöner großer Trupp, der kein Aufsehen erregen würde, weil ein solcher ja losgezogen war. Gut, er kam etwas kleiner wieder zurück, aber das waren Einzelschicksale.

Wir wanderten zur Stadt. Die Felder waren braun, die Bäume verdorrt und es roch leicht nach Fäulnis. Je näher wir der Siedlung kamen, desto schlimmer wurde der Verfall. Gesprächsfetzen waren zu hören. "Alles wird immer schlimmer … ", "Die Tiere sind auch krank ...", "Die Wachen patrouillieren auch nicht mehr wie früher …"
Wir erreichten eine letzte Hügelkuppe und schauten auf das Dorf herab. Es war wie beschrieben, also ärmliche Häuser und der erste Mauerring, dann die besseren Häuser und der zweite Mauerring, darin die Häuser in der Burg und der imposante Bergfried. Wenige Leute waren zu sehen. Reges Stadtleben sah anders aus.
Xeras Gespür zeigte deutlich, dass die Aura stärker geworden war. Wir näherten uns dem Zentrum des Übels.
Kein Plan reicht mit einiger Sicherheit über das erste Zusammentreffen mit den Spielern hinaus.
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Re: Tales from the Table (D&D 5E): Death men don't wear plate

Beitrag von Mercen »

Burgfest 2

Nach kurzer Zeit erreichten wir die ersten ärmlichen Häuser. Die Menschen, die uns begegneten, schienen sich über unser Anwesenheit zu freuen, zumindest hatte ich den Eindruck. Sie murmelten vielstimmig und zeigten uns als Gruß die zur Faust geballte rechte Hand. Ich grüßte freundlich lächelnd die jubelnde Menge. Es schien eine lokale Sitte zu sein, den Boden vor unseren Füßen mit ihrem Speichel zu benetzen. Was mir auffiel war, dass es hier so gut wie keine anderen Völker als Menschen gab.

SP: Motiv erkennen -> Xera 5, Ghaundar 1

Izzrilith zog seine Kapuze unauffällig tiefer in seine Stirn und bemühte sich sehr, nicht zu uns zu gehören. Nach kurzer Zeit verschwand er mit und zu seinen neuen Bauernfreunden.
Wir erreichten das erste Tor, welches offen stand. Die Mauern waren hier etwa sechs Meter hoch. Einige Wachen drückten sich an den Schießscharten herum. Wolfgang grüßte zu einem der Türme hinauf und die Wachen entspannten sich etwas.
Die nun folgenden Fachwerkhäuser waren von kleinen Hecken umgeben, die allerdings ebenfalls vertrocknet waren. Die Straßen waren hier gepflastert. Die Häuser wurden höher, je mehr wir uns der Burg näherten. Hier stank es weniger und es roch durchdringend nach irgendwelchen Parfümdüften.
Die nächste Mauer war gute zwölf Meter hoch. Für eine Baronie war das hier eine mächtige Festung. Das Tor war geschlossen.
Zwischen den letzten Häusern und der Mauer war Platz gelassen worden. Dort befanden sich kunstvoll angelegte Heckenlabyrinthe, die natürlich auch vertrocknet waren. An einer Ecke der Mauer sah ich aber eine kleine Eiche, die noch grün war. Ich behielt Wolfgang im Auge, der allerdings nur den Wächtern befahl, aufzumachen.
"Öffnet das Tor, das sind Freunde des Barons."
Oha. Zeit für einen spontanen und ungeplanten Auftritt.
Ich nickte bestätigend, lächelte und winkte zu den Schießscharten empor. Dann drehte ich mich um, um das Panorama zu bewundern. Ich seufzte tief ob des Elends, welches sich vor mir ausbreitete. Dann hörten wir Ketten klirren und das Tor öffnete sich.
Wir traten durch die große Toranlage. Linkerhand war ein dreistöckiges Gebäude, rechts befand sich ein einstöckiges Haus und schräg gegenüber lagen wohl die Stallungen. Direkt gegenüber erhob sich der Bergfried.
Wolfgang nahm uns mit nach Hause in seine 'bescheidene' Hütte. Das Ding war riesig und jede Menge Trophäen zierten die Wände. Nicht alle davon waren Tiere, auch etliche Monstren waren dabei. Dort bat er uns, sofort zu verschwinden oder er würde die Wachen rufen.
Ich bot ihm das vermeintliche Gegengift an, aber er lachte nur und meinte, dass er meine Scharade schon durchschaut hätte. Allerdings wäre ich trotzdem ehrenhaft, weil ich auch meinen Teil der Vertrages einhalten würde.
Nun war es leider noch heller Tag, also was sollten wir tun?
"Wir gehen zum Bergfried, machen die Tür auf, gehen hindurch und machen die Tür wieder zu. Ab dann gibt es Tote auf dem Weg nach unten, denn ich glaube, dass meine Überredungskünste im Allerheiligsten nicht so gut funktionieren werden."
"Das mag sein", erwiderte Xera. "Ich gebe nur zu bedenken, dass diese Art von Turm meistens keine Türen hat, die man von außen öffnen kann."
Damit könnte sie recht haben. Wir sahen über den Hof und das beste Ziel wäre wahrscheinlich der Stall. Wir zogen die tiefengnomischen Spezialumhänge an und schlenderten unauffällig, wie wir damit waren, auf die Stallungen zu. Eine Stimme ließ uns inne halten.
"He, ihr da, wer seid ihr?"
"Die neuen Stallburschen. Wir sollen ausmisten."
"Dann hätte ich euch eingestellt. Wachen!"
Mist.
Mehrere bewaffnete Gestalten tauchten auf und auf den Mauern wurden Armbrüste gespannt. Wir beschlossen, dann den Rest des Tages bis zum Abend im Gefängnis zu verbringen. Das, was einen Drow halten konnte, musste hier in dieser Gegend erst noch gebaut werden.
Xera versuchte es mit der Wahrheit. Ich hätte ihr sagen können, dass das selten funktioniert.
"Ich bin Priesterin eines alten Ordens und hier im Keller sollen Reste eines Tempels sein. Ich wurde geschickt, um das zu untersuchen"
"Geschickt? Von wem?"
"Von Bahamut, einem alten Gott."
"Kenne ich nicht. Wenn der genauso echsig und verschuppt ist wie du, dann wollen wir dich hier nicht haben."
"Ihr seht doch die Fäulnis um euch herum? Ich könnte das beenden."
"Ja ja. Wehrt euch nicht, lasst euch die Schellen anlegen und heute Abend klären wir das."
Man nahm uns die offensichtlichen Waffen und Xera noch den Schild ab. In unsere magischen Beutel fühlte man rein, aber da fand man nichts. Dazu hätte man ja auch wissen müssen, was da drin ist. Mit Magie kannte man sich offenbar auch nicht aus, denn wir behielten auch unsere Arkanen Fokusse.
Einen Dunkelelfen einzusperren, den man nicht nackt ausgezogen hatte, war eine dumme Idee. Als die Schritte verklangen und die Außentüre geschlossen wurde, schlüpfte ich durch meinen Fesseln und brachte die Hände nach vorne. Dann fummelte ich meine Dietriche aus dem Nimmervollen Beutel und knackte fachgerecht das Schloss. Die Fessel war immer noch dran, aber zumindest konnte ich meine Hände frei bewegen. Als nächstes war die Tür dran, die mir aber auch keinen nennenswerten Widerstand entgegensetzte.
Dann ging ich Xera suchen. Die hatte natürlich nicht mal die paar Minuten warten können und versucht, ihre Fesseln zu sprengen.
"Du hast dran gefummelt!", beschimpfte ich sie.
"Ich hab versucht, es aufzubekommen."
"Bahamut im Himmel, konntest du denn nicht mal eine Minute warten? Du hast das Schloss verbogen!"
Damit war sie erst einmal verloren, denn das verbogene Zeug bekam ich nicht auf, dafür ihre Zellentür. Etwas weiter den Gang hinunter hörte ich leises Husten. Ich schlich mich vorsichtig dort hin und spinkste durch das Gitter. Auf dem Strohhaufen lag eine schmutzige und abgemagerte Gestalt. Es stank. Hier wurde wohl nicht regelmäßig gereinigt. So, wie er aussah, hatte man ihn auch noch geschlagen.
"Hallo Meister, was dich denn hier hinein verschlagen?"
Er blickte auf und sah den Schwarzen Mann vor dem Gitter stehen. Er zuckte merklich zusammen und beäugte mich ängstlich und mit großen Augen.
"Wer seid ihr?"
"Die Retter der Baronie. Dummerweise glaubte man uns das nicht und hat uns ebenfalls in den Kerker geworfen. Warum bist du hier?"
"Öhm, also ich wollte nicht, öhm, also, ich war nicht einverstanden mit den … mit dem Suchen nach dem Mädchen."
"Welches Mädchen?"
"Hanna oder nein warte, Elena, glaube ich."
Da war sie ja, die Bestätigung. Aber warum suchte man sie? Als Opfer, schon klar, aber warum?
"Ja, das mit dem Opfer haben wir auch schon mitbekommen."
"Woher wisst ihr das denn?"
"Man hatte uns ebenfalls angegriffen auf der Suche nach dem Opfer. Leider mussten wir die Angreifer eines Besseren belehren. Aber ich bewundere und schätze deine Standhaftigkeit sehr im Vergleich zu dem Pack da draußen."
"Habt ihr magische Fähigkeiten?"
"Ein wenig. Warum?"
"Dann müsst ihr fliehen. Sie suchen nach jemandem mit solchen Fähigkeiten. Das ist schon seit Jahrhunderten so. Mein Vater hat es mir als jungem Erwachsenen beigebracht und dessen Vater ihm. Das ist ein gut gehütetes Geheimnis hier. Wir sind eine der fruchtbarsten Baronien in weitem Umkreis, deshalb sind wir auch zu einigem Wohlstand gekommen. Ich habe mir wirklich nie viel dabei gedacht. Ein Göttersegen vielleicht? Dann brachte man mir bei, dass es wirklich übernatürliche Gründe dafür gibt, einen Pakt, einen Vertrag. Aber dieser Vertrag braucht einen grausamen Preis. Eine Gegenzahlung."
"Das Opfer?"
"Frisches, magisch begabtes Blut. Jeder, der hier lebt, weiß das. Als die Zeit wieder kam und neues Blut gebraucht wurde, da bekam ich Bedenken und ich half einem Bauern auf einem Außenhof. Ich warnte ihn, dass seine Tochter auserwählt worden war, aber da kam schon die Meute."
"Das war mutig. Können wir dir helfen?"
"Habt ihr etwas zu essen?"
Das war leicht. Ich schob ihm eine eiserne Ration durch die Gitterstäbe.
"Hast du einen Krug hier?"
"Nein."
Gut, dann ließ ich ihm auch den Wasserschlauch da.
"Lasst ihr mich hier?"
"Im Moment ja, denn es wäre sehr auffällig, wenn du fehlen würdest. Du bist nicht in der Lage, lebend über die Mauer zu kommen. Aber ich verspreche dir, dich auf dem Rückweg zu befreien. Dann wird es wahrscheinlich auch keine Wachen mehr geben."
Wir hörten plötzlich einen Schlüssel im Schloss und schafften es noch so gerade, in eine leere Zelle zu huschen.
Die Wache wollte sich wohl mit den neuen Gefangenen amüsieren und ging den Gang entlang. Ich begrüßte sie mit einem Hexenpfeil und Xera mit einem Blitzschlag. Sie war sofort tot und fiel dampfend um. Allerdings war das eine seltsame Wache, denn sie sah sehr tot aus. Also schon, bevor wir sie geröstet hatten. Sie hatte sehr eingefallene Gesichtszüge und eine gräuliche Haut. Dafür hat sie einen Schlüsselbund dabei. Damit bekam ich dann auch Xeras Schloss auf und die Fesseln ab. Er hatte ein Schwert und einen Schild dabei und damit war Xera wieder einsatzfähig. Seine schwere Armbrust war leider nichts für mich.
Dann überlegten wir, was wir jetzt machen sollten. Die Wache würde vermutlich bald zurückerwartet und so beschloss ich, mich als sie zu verkleiden. Die Größe passte. Ich schmierte mir das Gesicht mit Asche ein, zog ein paar der Klamotten über meine Kleidung und setzte den Helm auf. Dann ging ich nach draußen. Aufmerksamkeit erregte ich nicht. Gegenüber war das dreistöckige Gebäude, das ein wenig wie eine Soldatenunterkunft aussah. Ich spazierte über den Hof, drückte die Tür auf und verschwand im Inneren.

Das Gebäude war gebaut wie hunderte ähnliche Gebäude in den Welten. Unten waren Küche, eine Waffenkammer und der Speisesaal, im ersten Stock die Schlafsäle der Wachen und im zweiten Stock die Zimmer der Offiziere. Eine Tür stand offen und mit dem Rücken zu mir saß ein Mann und schrieb in eine Art Rechnungsbuch. Schräg hinter ihn stand ein Korb und darin lagen unsere Waffen!
Ich überlegte kurz, ob und wenn ja, wie ich ihn umbringen sollte, aber dann entschied ich mich für die friedliche Lösung. Der Mann trug Körperpanzer und ich war mir nicht sicher, ob ich ihn auf Anhieb eliminieren konnte. Und es war keine Xera in der Nähe, die das dann übernehmen konnte.
Habt ihr schon einmal Mikado oder Jenga gespielt? Ja? Lautlos mit dem Spruch 'Magierhand'? Ich war schweißgebadet, als ich endlich unser Zeug in den Fingern hatte. Der Schild musste dableiben, aber Xera hatte ja den von der Wache, die tot im Kerker lag.
Dann kehrte ich in den Kerker zurück. Auf dem Rückweg nahm ich noch eine leichte Armbrust und die passenden Bolzen mit. Xera war heilfroh, als sie ihre gewohnte Waffe in den Händen hielt. Bis zur Dämmerung waren es noch eine gute Stunde, die wir für eine kurze Rast nutzten.

Dann wurde es endlich dunkel draußen. Eine Wache begann ihre Runde und zündete die Fackeln an. Jetzt oder nie! Xera bekam den Spruch 'Schweben' und sollte auf das Dach des Bergfrieds schweben. Ich musste warten, bis sie dort angekommen war, denn wenn ich mit 'Spinnen klettern' nachkommen wollte, brauchte ich meine volle Konzentration dafür.
Xera stieg auf. Und dann passierte es.
"Was zum …" hörten wir einen Wächter und das Geräusch einer Armbrust, die gespannt wurde.
Ich schoss auf ihn, aber der Bolzen zerschellte an der Brüstung. Immerhin war er hinreichend abgelenkt und griff an seinen Gürtel. Dort befand sich wohl das obligatorische Horn.
Ich ging zu der Wache hinüber, die die Fackeln anzündete und grüßte sie freundlich: "Scheiß Job heute Abend, wah?" Die Wache grüßte freundlich zurück. Dann ging ich weiter zum Stall. Hinter mir im Boden steckte mit einem heftigen Klacken der Bolzen einer schweren Armbrust und vibrierte leise vor sich hin. Dann ertönte das Horn.
Ich schrie: "Wir werden angegriffen!" und rannte in den Stall. Es wurde lebendig.
"Er ist im Stall!"
"Nein, auf dem Dach, auf dem Dach!"
Ich rief noch im "Im Gully, im Gully!", suchte die Leiter, die zum Heuboden hinaufführte und kletterte nach oben. Natürlich gab es keine Dachluke. Wäre ja auch zu schön gewesen. Wie waren die Dachschindeln aufgelegt? Ich suchte nach der Befestigung der Schindeln. Sie ließen sich nicht verschieben.
Also musste ich Gewalt anwenden. Wo war die Brechstange? Ich suchte hektisch in meinem Beutel, zog sie heraus und bekam tatsächlich zwei auseinander. Da ich Schritte hörte, warf ich ein Alchemisches Feuer unten auf den Boden. Dann warf ich noch eine Ölflasche hinterher und zwängte mich durch die Schindeln nach draußen. Das mit dem Öl war wohl übertrieben, denn der sich entwickelnde Feuerball erwischte mich noch beim Hinausklettern. Leicht dampfend zog ich mich auf das Dach.
Ich schlich mich zum Bergfried und wollte über seine Rückseite mittels 'Spinnen klettern' nach oben. Dort wäre ich vor den Blicken aller Wachen geschützt. Leider sahen mich zwei davon auf meinem Weg und schossen auf mich. Der Schildzauber rettete meine Konzentration und ich erreichte die Rückseite. Unter mir ging es senkrecht nach unten.

Xera: Ich suchte das Dach nach einem Ausgang ab. Als ich über die Brüstung auf der Rückseite sah, erinnerte ich mich. Ich stand damals gute 20 Meter tiefer, aber ja, das war die Form. Ansonsten war das mit dem Dach ein blöde Idee gewesen, denn es gab keinen Abgang nach unten. Es war schlicht ein Dach.

In der Rückwand war ein riesiges Panoramafenster eingelassen, gute 10 Meter breit und gute 20 Meter hoch. Dahinter war dämmriges Licht. Das Fenster bestand aus roten Glas und Eisenstreben gaben ihm eine gewisse Stabilität. Ich kletterte ganz nach oben und hievte mich über die Brüstung. Wir mussten durch das Fenster und ich erklärte Xera, wie man sich pendelnd an einer Mauer entlang bewegt, um Schwung zu holen. Ich befestigte ein Seil, ließ es herunter und Xera begab sich auf den Weg nach unten. Ich kletterte neben ihr her.
Das mit dem Pendeln klappte erstaunlich gut. Anfängerglück, würde ich meinen. Das Fenster zersplitterte, als 130 Kilogramm heilige Masse dagegen prallten. Der Schwung trieb sie in die Halle hinein. Unter ihr war ein Thron, auf dem jemand saß und auf das Fenster starrte. Links und rechts waren zwei Galerien, auf denen je vier Wachen standen, die das mit versteinerter Miene zur Kenntnis nahmen.
Xera verwendete ihren Nebelschritt und landete neben dem Thron. Auf der Thronlehne saß eine Drossel, die abrupt ihr Lied unterbrach und davon flatterte. In der Mitte des Raumes traf sie auf eine Barriere, die sie in Sekundenschnelle altern ließ. Mir schien, wir hatten den Raum von der richtigen Seite betreten.
Dann schlug sie mit aller Gewalt auf die Gestalt ein, die dort saß. Es war ein ältlicher Mann, der mehr tot als lebendig aussah. Gleißend hieb sie zu und eines seiner Beine fiel abgetrennt zu Boden. Er zeigte allerdings keine Reaktion auf sein abgetrenntes Bein. Der Mann drehte ihr endlich das Gesicht zu und die Wachen spannten ihre Armbrüste.
Zeit, einzugreifen. Ich krabbelte durch das Loch im Fenster, suchte mir eine dunkle Stelle in der Glasmalerei und erschoss die erste Wache. Sein Nachbar zeigte erstaunlich wenig Regung, als das Blut des Opfers ihn vollspritzte. Dann suchte ich mir einen neuen unverfänglichen Hintergrund.
Eine Woge aus nekrotischer Energie rollte über Xera hinweg und sie taumelte kurz. Um den Thron bildete sich eine magische Barriere und drängte Xera zurück. Da sie an ihren Gegner nicht mehr herankam, kletterte sie auf die nächstgelegene Balustrade. Die Wachen dort sahen recht tot aus. Sie hackte in die erste Wache und der Schlag fegte diese glatt von der Balustrade. Die zweite Wache bekam ihren Blitz und das Kopesh ab und zerfiel in zwei Teile. Dafür wurde sie von drei Armbrustbolzen erwischt.
Das Energiefeld musste weg und daher zuckte lapisblaues Leuchten durch den Raum, umhüllte das Feld und löste es auf.
Aus dem Nichts griff ein Arm nach dem Ding auf dem Thron, ein Arm, der aus reiner Krankheit bestand, und schlug seine Klauen in den Oberarm des Barons. Energien pulsten und die Muskeln schwollen sichtlich an. Schwarze Adern schlängelten sich über den Körper und der Baron richtete sich auf. Der Arm verschwand. Mist, hier war noch ein unsichtbarer Gegner im Raum!
Der Baron wuchtete sich aus seinem Thron hoch und Xera sprang wieder herunter. Sie rannte auf ihn zu und ihr Schwert gleißte auf. Der erste Schlag verteilte seine Eingeweide auf dem Boden. Der zweite Schlag trennte das zweite Bein ab. Nun hing er halb sitzend auf seinen Thron und hielt sich mit der anderen Hand fest. Tot war er leider noch nicht.
Das Wesen langte zu. Man hörte die Knochen in seiner Hand brechen, als seine Faust auf die Adamantrüstung traf. Xera taumelte durch die Wucht des Schlages ein paar Schritte zurück. Weitere Armbrustbolzen bohrten sich in ihren Körper. Ich versuchte, den Baron mit einem Spruch zu schwächen. Leider funktionierte das nicht recht und mein eiskaltes Händchen verschwand in den Tiefen des Raumes.
Dann traf mich ein Zauber, der sich in meinen Geist bohrte. Der Zaubernde wusste wohl nicht, dass Elfen da besondere Widerstandskräfte haben, jedenfalls gelang es mir, den Effekt abzuschütteln. Ich kletterte nach unten, um den Boden zu erreichen.
Dann versuchte ich, einen Unsichtbaren mit einem Zauber zu erwischen. Das funktionierte natürlich nicht.
Am Thron gab es Neuerungen. Das Blut, welches auf den Boden getropft war, verband sich mit dem abgetrennten Bein und dann gab es einen Ruck und das Bein verband sich wieder mit dem Körper. Der Baron stand auf.
Xera, die schon sehr am Ende ihrer Kräfte war, gab ihr Äußerstes. Die beiden Schläge trafen den Baron und diesmal beendete der letzte Schlag das Trauerspiel und das untote Ding kippte endlich um. Xera legte sich fast daneben. Sie war mehr als angeschlagen und stützte sich keuchend auf ihr Kopesh. Vor ihr verfaulte der Leichnam in Rekordzeit.
Ich hörte ein leichtes Zischen, so als wenn jemand durch die Zähne Luft holen würde. Eine Stimme ertönte plötzlich in der Halle.
"Meine Freunde, ich sehe ein, dass wir eine gewaltfreie Lösung dieses Konfliktes suchen müssen. Lasst uns wie zivilisierte Wesen verhandeln."
Es flimmerte und ein paar Meter von uns entfernt wurde eine albtraumhafte Gestalt sichtbar. Sie war humanoid, etwa zweieinhalb Meter groß, hatte eine fahlgraue Farbe, auf der lustige Pusteln in eitergrün und faulig rosa prangten. Sie schien sich eine Robe aus den Baronialgemächern geliehen zu haben. Das Purpur der Robe machte es nicht besser, vor allem, weil das Kleidungsstück oberhalb der Knie endeten. Xera flüsterte mir zu, dass das wohl ein Yugoloth war, etwas zwischen Teufel und Dämon. Die würden für beide Seiten arbeiten.
"Bitte, keine Gewalt mehr. Ich bin lediglich ein Unterhändler. Weshalb seid ihr eigentlich hier?"
"Wir suchen einen Hund."
Dem Wesen blieb der Mund offen stehen. Xera nutzte die Gunst der Atempause und versorgte ihre Wunden.
"Ihr dringt hier ein und entfesselt ein Massaker, weil ihr einen Hund sucht? Hättet ihr nicht einfach anklopfen können?"
"Wir hatten ja geklopft. Leider wurden wir direkt verhaftet, bevor wir unser Anliegen erklären konnten. Dazu kommt noch ein alter Tempel, der hier drunter liegt oder lag, damit meine Schwertschwester mit ihrer Vergangenheit abschließen kann."
Das Wesen nickte. "Den Tempel kann ich euch zeigen. Von einem Hund weiß ich nichts, der muss irgendwo draußen sein."
"Wer seid ihr eigentlich?"
"Ich bin der Bestrafer, ein Oinoloth. Es gibt einen Pakt, der geschlossen wurde und die Bedingungen des Vertrages werden zurzeit nicht eingehalten. Das Opfer ist überfällig. Also bin ich hier, um die Erinnerung aufzufrischen."
Er drehte sich um und ging auf die Wand zu. Wir sahen uns an. Klein-Elena war wirklich in Lebensgefahr.
Xera war sich gerade sehr unschlüssig, wie es weitergehen sollte. Ich flüsterte ihr zu, dass das nicht unser Auftrag sei und wir gerade auch nicht in der Lage wären, mit dem Bestrafer fertig zu werden. Das sah sie zähneknirschend ein.

Er führte uns zur linken Seite des Thronsaals, fummelte an der Wand herum und eine Geheimtüre öffnete sich. In der Wand ging eine Treppe abwärts. Die war schon recht alt, wenn ich mir die ausgetretenen Stufen so ansah. Xera schluckte. "Wir sind richtig …"
Wir kamen nach vielen Windungen in einen weiteren Gang. Links und rechts waren die Drachenbüsten, die sich gegenseitig ansahen. Die Linken blickten weise und ruhig, die rechten zornig. Die Wände waren über und über mit infernalischen Runen beschriftet. Ein kurzer Blick - denn für die Masse hatte ich weder Zeit noch Lust - zeigte mir, dass es sich um Beschwörungsformeln handelte. Es schienen Votivsprüche zu sein, also Wünsche an eine Gottheit.
"Komm putt, putt putt, wo ist denn das kleine Wuffi?" Meine Stimme hallte durch die Gänge. Es schien sich um eine Art Kreuzgang zu handeln. Nichts rührte sich.
"Ich sagte doch, dass es hier keinen Hund gibt.", sagte der Bestrafer.
Wir kamen an einem der alten Lehrräume vorbei. Xera wirkte immer betroffener. Sie betrachtete die Reliefs, die ihr mit ihrem Wissen jetzt in neuem Licht erschienen. Vorher dachte sie, dass der eine Drache der Lehrer und der andere sie, also der Schüler sei. Jetzt wirkte es eher so, als würden sich zwei Prinzipien umkreisen. Recht und Gesetzlosigkeit, Ordnung und Chaos, Krieg und Frieden. Beide Drachen bissen sich gegenseitig in die Schwänze. Der obere war silbern und grau, der andere rötlich und blau. Dieses Kloster war für beide Drachengottheiten gewesen.
In dem Raum stand auch ein Altar. Der monolithische Block aus schwarzem polierten Stein war neu hier. Also er war schon älter, aber es gab ihn nicht zu Xeras Zeiten. Die Oberfläche war nie geputzt worden. Die Schicht aus getrocknetem Blut war bestimmt fingerdick. Das war ekelhaft.
"Ihr habt es schon richtig erkannt, dass hier die unglücklichen Seelen für die Fruchtbarkeit des Landes geopfert werden. Es wird leider weitere Seelen benötigen, um den Fluch wieder aufzuheben. Wenn ihr mich besiegen würdet, dann würden andere an meiner Stelle kommen. Es ist der Vertrag, der zählt, nicht die Personen."
Er lächelte.
"Wollt ihr den Vertrag einmal sehen?"
Ich nickte und er zog eine dicke Papierrolle aus seinem Prunkgewand. Er rollte sie mit Schwung auf. Die Rolle rollte durch den Kreuzgang und verschwand um die Ecke. Sie war bestimmt 50 Meter lang und eng beschrieben.
"Hat das jemals jemand gelesen?", fragte ich und war mir der Antwort sicher.
"Nein, das tut nie jemand. Sie wollen nur das Ergebnis und beschweren sich hinterher über das Kleingedruckte."
Da war mein Vertrag ja richtig übersichtlich. Ich hatte ihn gelesen, aber die Alternative, nämlich ewiges Höllenfeuer, war nicht verlockend gewesen. Ich schaute auf die letzten Einträge und richtig: Hermann stand auf der Rolle. Das letzte Mosaiksteinchen klickte ins Bild ein.
"Ich sehe, Habgier ist eine mächtige Triebfeder in den Welten", meinte ich.
"Nun," erwiderte der Bestrafer, "jeder Bauer möchte blühende Felder. Der Teufel ist nicht das Böse. Er lockt nur das Böse aus den Seelen der Personen und macht es sichtbar."
"Manchmal bringt er auch das Gute zum Vorschein." Ich lächelte zu Xera hinüber, aber die war nicht richtig ansprechbar.
"Das ist dann Kollateralschaden, aber ja, manchmal geschieht auch das."
"Das war alles sehr erhellend, aber uns fehlt immer noch der Hund. Habt ihr eine Idee?"
"Vielleicht draußen in den Gärten?"
"Welche Gärten? Meint ihr das Gestrüpp um die Burgmauer herum? Aber da hätte ich eine Frage: Warum ist da draußen noch eine grüne Eiche?"
"Nun", sagte der Unhold und legte lächelnd seine Fingerspitzen aneinander. "Wir wollen ihnen ja nicht alle Hoffnung nehmen."
"Ich hätte eine Bitte" sagte ich. "Könntet ihr uns noch zum Tor begleiten? Ansonsten haben wir wieder die Wachen an der Backe und wir wollen doch kein weiteren Toten, nicht wahr?"
Er nickte und wir machten uns auf den Weg nach draußen.
"Nun wisst ihr ja, wie man diesen Fluch aufheben kann, falls ihr Interesse an der Lösung dieses Falls habt. Ich persönlich hätte nichts dagegen, diesen Landstrich auch noch in den nächsten Jahrhunderten zu plagen."
"Das ist nun wirklich nicht unser Problem," meinte ich. "Wir haben einen Auftrag und der geht vor."
Er blieb stehen und sah mich aufmerksam an.
"Du scheinst mir recht zielstrebig und geradlinig zu sein, was die Erfüllung von Aufträgen angeht. Wie ist dein Name?"
Ich stutzte für einen Moment und erwiderte dann: "Besser nicht. Ich habe bereits einen infernalischen Patron, für den ich arbeite. Zwei Herren kann ich gerade nicht gebrauchen."
"Schade, loyale Bestrafer können wir immer gebrauchen. Wenn du also mal Arbeit suchst …"
"Wenn ich dann aussehen muss wie du, nein danke."
"Aber nein, ich bin ein Krankheitsbringer. Da sollte man sich schon der Pestilenz, die man verursacht, anpassen. Dann weiß auch jeder sofort Bescheid, was passieren wird. Der Schwarze Mann ist für andere Aufgaben da."
Langsam dämmerte mir, wie das alte Kinderlied entstanden war:
„Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“
„Niemand! Niemand!“
„Wenn er aber kommt?“
„Dann laufen wir davon!“
Wenn ihr das dann noch könnt.
Xera wollte noch etwas wissen. "Wenn hier alles verfault ist, kann doch keiner mehr hier leben. Sie könnten wegziehen."
Der Bestrafer lachte. "Ja, das könnten sie. Ich ziehe dann mit um. Es ist nicht das Land, es ist die Person, um die ich mich kümmere. Das Land hat schließlich nicht unterschrieben."
Wir sahen uns an. Dann war das halt so. Blieb nur noch der Köter.

Irgendetwas ging draußen vor. Als wir das Tor erreichten hörten wir das laute Gemurmel einer aufgebrachten Menschenmenge. Dichte Rauchwolken quollen aus dem Adeligenviertel nach oben in den bleigrauen Himmel. Ich rannte noch kurz in den Kerker und schloss die Tür des Bauern auf.
"Draußen ist Volksaufstand," informierte ich ihn, "komm mit, misch dich in die Menge und verpiss dich so schnell wie möglich."
Er bedankte sich herzlich und ich rannte zurück.
Sie brüllten etwas wie 'Schleift die Burg', 'Alle Macht dem Volk', 'Friede den Hütten, Krieg den Palästen' oder 'A la lantern'. Mittendrin war unser Izzrilith, der vom Erfolg seiner Predigten etwas überrascht schien.
"Wart ihr erfolgreich?"
"Ja, wir haben den Baron getötet. Ihr seht gleich, was das für ein Monstrum war. Aber da ist …"
Xera unterbrach mich rüde. "Der Baron ist tot. Damit sollte das Unheil aufhören."
Ich hielt die Klappe. So gesehen hatte sie recht. Das war nicht unser Bier. Der Yuan-Ti bedankte sich herzlich und wünschte uns noch eine gute Reise. Dann soll er mal sehen, wie weit er mit seinem Pazifismus bei dem Bestrafer kam.

Als wir an dem Mob vorbei waren, hörten wir aus dem Heckenlabyrinth ein heiseres Jäppen.
"Das muss er sein" meinte Xera. "Ich gehe nach links und du nach rechts."
Das machten wir dann so. Wie das mit Labyrinthen so ist, der Gesuchte befand sich immer auf der anderen Seite. Xera bekam ihn kurz zu sehen, aber er mochte sie nicht und düste ab. Drakonisch eignet sich übrigens prima zum Fluchen, wie ich hörte.
Dann sah ich ihn. Er war, wie schon fast erwartet, kein Windspiel. Man nehme einen Bullterrier, kreuze ihn mit einer Kröte und garniere ihn mit Fledermausohren. Er war hässlich. Er sabberte. Er kläffte. So etwas konnte nicht mal eine Mutter lieben.
Er sah mich an und schien auf etwas zu warten. Ich griff in meinen Beutel, holte ein Stück Trockenfleisch heraus und garnierte das mit etwas fauligem thaumaturgischen Aroma. Der Wind stand günstig und er kam angetrottet. Ich hielt ihm das Stück hin und ein gigantisches Maul mit beeindruckenden Zähnen öffnete sich. Ich schaffte es gerade noch, die Hand wegzuziehen, bevor er sie mir abbeißen konnte. Er stank auch noch nach Schwefel.
Ich präparierte die nächste Portion, die gnädig angenommen wurde. Nach zwei vollständigen Rationen fand ich es langsam an der Zeit, dass wir uns zum Ausgang begaben. Ich nahm ihn hoch und setzte ihn auf meinen Arm. Er begann, herzergreifend zu jäppen. Also packte ich mehr aus. Wo blieb eigentlich Xera? Mir ging langsam das Futter aus. Eigentlich müsste er langsam platzen, aber dem schien nicht so.
Xera hatte die Nase voll und nahm den direkten Weg. Ich sah Büsche und Äste durch die Gegend fliegen. Jäppi sah das auch und teleportierte sich gute neun Meter weg. Dabei war er in Flammen gehüllt. Klar doch, nur ein kleines Hündchen. So süß und putzig …
Mit viel Geduld lockten wir ihn unter dauernden Futtergaben, untermalt von heiserem Jäppen, in den Wald.

Endlich erreichten wir am frühen Morgen den Zeltplatz.
Klein-Elena tat das, was alle kleinen Mädchen tun und befahl dem Hund, sich hinzulegen. Das tat er tatsächlich und sie begann, ihn ausgiebig zu kraulen.
Das gab mir Zeit, Hermann zu befragen.
"Habt ihr noch Rationen übrig?"
"Ähm, wir sind Halblinge."
"Ja und? Wir waren doch nur einen Tag weg."
"Hallo, Halblinge? Die Antwort lautet: Nein."
Noch ein Punkt auf seiner Naughty-Liste.
"Wir werden deine Tochter in Sicherheit bringen."
"Warum? Was ist denn?"
"Tu nicht so unschuldig. Dein Name stand auf der Rolle, ich habe ihn gesehen."
Der Halbling wurde blass und hielt seiner Tochter die Ohren zu.
In mir brodelte der Zorn. Jeder einzelne dieser habgierigen Bauern hatte seine Seele und die Zukunft seiner Kinder bei vollem Bewusstsein für ein paar Silberlinge verkauft.
"In gewisser Weise kann ich dich verstehen. Da bestellst du dein Feld und auf dem Kürbisfest wirst du immer letzter, weil deine recht mickrig sind und der blöde Nachbar immer die dicken hat. Dann hörst du von der Rolle. Einfach deinen Namen drauf schreiben und du hast auch dicke Kürbisse. Ach ja, es gibt da einen Preis, nämlich ein Kind alle 20 Jahre und das muss auch noch Magie beherrschen. Du zuckst mit deinen Schultern und denkst dir: 'Meine kann das nicht'. Dann unterschreibst du.
Irgendwann fällt dir auf, dass deine Kleine Gänseblümchen wachsen lassen kann und die 20 Jahre bald um sind. Dir schwant Böses und du entwickelst so etwas wie ein Gewissen. Vor allem, weil deine Kleine aus ihren Fähigkeiten kein Hehl gemacht hat und ein paar Leute wissen, was sie kann. Trotzdem bist und bleibst du ein habgieriger Unmensch und jetzt musst du die Konsequenzen für deine böse Tat tragen."
Xera nickte dazu. Ihre blauen Augen glühten. Wie es in ihr aussah, mochte ich mir lieber nicht vorstellen. Schlimmer als ich konnte sie aber nicht sein. Ich sah dem Halbling ins Gesicht.
"Wir nehmen deine Tochter mit. Dort ist sie in Sicherheit und kann ein großartiger Druide werden. Wenn du dich weigerst, töte ich dich. So einfach ist das."
Ich verfüttere ihn an Jäppi. Lebend. In kleinen Brocken.
"Wo ist das denn?"
"Das ist eine andere Welt, mit Parks und einem großartigem Dschungel. Und natürlich netten Personen, die dort wohnen. Wie gesagt, deine Wahl kannst du treffen, so wie damals. Aber jetzt nur noch für dich. Für deine Tochter haben wir entschieden."
"Also gut, wir kommen mit."
Ich nickte. "Das ist eine großartige Idee. Dort wird es dir gefallen. Die Landeigentümer werden dein Verhalten richtig einzuschätzen wissen."

Xera: Stecke ich in einem moralischen Dilemma? Hunderte leiden zu lassen, um eine zu retten? Nein, tue ich nicht. Diese Leute haben sich für die Habgier entschieden. Die Kleine nicht, denn sie hatte keine Wahl. Hermann hätte ich ebenfalls gerne hier gelassen, aber das ging ja nun nicht.

Wir gingen los. Die Zelte und den Rest ihrer spärlichen Habe ließen wir zurück. Elena, die genügend mitbekommen hatte, um sich Sorgen zu machen, fragte ihren Vater den ganzen Weg, was denn los sei, und wo es jetzt hinginge. Hermann redete beruhigend auf sie ein. Sie würden in ein anderes Land umziehen, eines, wo alles grün sei.
Auf der Lichtung angekommen starrten beide furchterfüllt auf unser Gefährt, welches sich laut grollend darüber freute, dass die 'Gebieterin' zurück war. Jäppi pinkelte natürlich als erstes an den Vorderreifen. Wir hievten die beiden nach oben. Der Köter wurde im Fußraum verstaut. Dann fuhr Xera die flammenden Scheiben hoch, damit nicht im letzten Moment noch jemand flüchten konnte und wir machten uns auf den Rückweg. Unsere Ebene erwartete uns.

Ich glaube, es geschieht nicht oft in den Welten, dass dich ein Drow rettet und mitnimmt, weil dir ansonsten ein noch schlimmeres Schicksal droht. Unser Ziel war eigentlich nicht der richtige Ort für kleine Kinder, aber wer weiß. Ich würde unseren Patronen einen Druiden als Pfleger ihrer Parkanlagen schon schmackhaft machen, das schwor ich mir.

Wir rumpelten aus der überdimensionalen Schwärze in die Parkanlage hinaus. Etwas hatte sich verändert. Überall hingen Girlanden und kleine Lampions. Am Himmel verwehten die Reste von einem Feuerwerk. Aus Turkeys Diner klang Musik, lautes Lachen und Stimmengewirr.
„Kaum ist man mal weg, gibt es hier Feierlichkeiten und wir sind nicht eingeladen“, murrte ich. „Was ist denn hier passiert?“
Das Haupthaus war ebenfalls hell erleuchtet. Das schien eine große Party zu sein.
„Fahr zum Diner“, wies Xera unseren Behemoth an. „Da hängen Plakate, vielleicht hilft uns das weiter.“
„Jawohl, meine Gebieterin.“
Langsam näherten wir uns dem Restaurant. Es sah anders aus als vorher. Das Fachwerk der Fassade war durch Stein ersetzt worden und die ehemalige Schlichtheit wurde durch Simse, Säulen und anderes Nippes unterbrochen. Das Dach war jetzt mit leuchtend blauen Schindeln gedeckt. Efeu wucherte an einigen Stellen und es war nicht der Efeu, den man so gewohnt war. Dieser war rötlich golden und bewegte sich leicht. Irgendwie abyssal, wie mir schien, denn das Zeug sah ähnlich aus wie der kranke Mist, den wir vor ein paar Tagen abgefackelt hatten. Auf dem Plakat stand: „Zu Ehren der Rückkehr Ihrer Eminenz.“
„Auweia“, meinte Xera, „sie hat bereits die Macht übernommen.“
Ich nickte bloß. Und nun?
Wir beschlossen, erst einmal in den Diner zu gehen und Turkey zu fragen, was hier los sei. Der wirkte stark gehetzt. Es gab ein riesiges Büfett und der arme Kerl war damit beschäftigt, die Massen an Leuten zu versorgen. Xera drängte sich zu Turkey durch.
„Ach Xera,“ begrüßte er sie leutselig, „schon wieder zurück? Das ist ja gut, denn den Großteil habt ihr noch nicht verpasst. Wir feiern hier die Rückkehr der großen Schreckensimperatorin. Das ist eine wunderbare Zeit, nicht wahr? Nehmt euch essen und trinken, die Feier ist für zehn Tage angesetzt.“
„Das sieht ja alles wieder köstlich aus, was du hier aufgetragen hast.“, sagte Xera.
„Ich habe alles gegeben! Alles!“ Seine Stimme klang schrill. Irgendwas stimmte nicht mit ihm.
Hier waren aber nur die Angestellten. Viridicus und Saira waren wohl im Herrenhaus und so verließen wir den Diner und fuhren wir weiter. Den Wagen lieferten wir in den Stallungen ab und stapften dir Treppen nach oben. Auch hier war das Design geändert worden. Die vormals glatten Marmorgeländer waren mit silbernen Blattranken verziert worden. Nun gut, wem es gefällt. Die Dame hatte einen floral verschnörkelten Geschmack.
Vor der Tür von Viridicus Büro stand meine Liebste Wache. Damit war auch klar, dass Saira anwesend war. Ich drückte sie kurz und meinte, dass wir noch Rapport erstatten müssten. Elena blickte furchtsam zu der Dämonin empor.
„Du musst dich nicht fürchten,“ meinte ich zu ihr, „irgendwann musst du fechten lernen und da gibt es keine bessere Lehrerin.“
Wir klopften und wurden hereingebeten. Der Raum hatte sich ebenfalls verändert. Es gab weniger Bücher, Astrolaben und Globen, dafür mehr Plüsch und Sessel. Viridicus und Saira lösten sich gerade voneinander, rückten ihre Kleidung gerade und versuchten, professionell auszusehen.
„Meine Kinder, ihr seid zurückgekehrt und auch noch in einem Stück?“, fragte Viridicus.
„Verehrte Saira, verehrter Viridicus, wir haben den Auftrag erledigt. Wie immer“, sagte Xera.
„Darf ich?“ fragte Saira und streckte die Hände nach dem Hund aus.
„Gerne,“ erwiderte Xera, „er neigt zum Beißen, wenn er nicht genug Futter bekommt.“
„So sind sie, die Kleinen“ gurrte Saira.
„Darf ich fragen, warum ihr gerade diesen Hund so gerne haben wollt“, fragte Xera.
„Was für eine Frage“, sagte Saira und drehte den Hund zu uns um. Wir blickten in die Krötenaugen, sahen die Schlappohren und das übergroße sabbernde Maul. „Dieses Gesicht ist doch so liebenswert“, fuhr sie fort. „Und dieser Körper, so weich und anschmiegsam.“
Ich bewunderte unsere Zurückhaltung. Keine Miene und kein Muskelzucken verrieten unsere wahren Gefühle.
Ich räusperte mich. „Er frisst recht viel. Zurzeit hat er sieben komplette Tagesrationen verdrückt. Eigentlich müsste er platzen.“
„Das werde ich noch herausfinden,“ lächelte Saira. „irgendwann platzen sie. So ist das eben, dann muss man Abschied nehmen. Aber er ist noch jung, das passt was rein. Es gab Vorfälle bei ausgewachsenen Hunden, dass sie schlicht explodiert sind.“
Ich räusperte mich. „Wir haben da noch jemanden mitgebracht.“
Viridicus schien erst jetzt die beiden Halblinge wahrzunehmen. Ich zeigte auf das kleine Mädchen.
„Das ist Elena, eine sehr begabte junge Druidin, die noch ein wenig der Ausbildung bedarf. Wir dachten, für eure Parks und Dschungel wäre das die ideale Ergänzung, damit sich jemand um Flora und Fauna kümmert. Das andere da ist übrigens Hermann, ihr Vater. Er ist Bauer.“
„Interessant.“
„Wir mussten sie mitbringen,“ sagte Xera, „ansonsten wären sie von der dort herrschenden Sekte getötet worden.“
„Das wollte ich gerade fragen,“ fragte der Teufel, „warum ihre lebende Wesen hierher gebracht habt?“
„Wie Xera bereits gesagt hatte, die Kleine wäre auf einem blutverschmierten Altar geopfert worden für etwas, was nicht sie getan hat, sondern die Älteren im Dorf. Das wollten wir nicht. Die junge Dame kann gut mit Natur umgehen, sie würde hier die perfekte Ausbildung von zwei überaus kompetenten Zauberkundigen erhalten und, vielleicht auch ein zu bedenkender Aspekt, ihr hättet mehr Zeit für andere Dinge und müsstet nicht mehr den Rasen mähen.“
„Interessante Idee, muss ich sagen. Aber vielleicht hast du recht und ein Gärtner könnte hilfreich sein. Ihr wisst aber schon, dass es Eingangsprotokolle in die Hölle gibt?“
„Aber hier ist doch gar nicht die Hölle, hier ist das Paradies,“ meinte ich.
„Mein lieber Ghaundar, ich glaube, du hast hier etwas missverstanden. Man kann nicht einfach so als Lebender in der Hölle sein. Wir sind hier im Leben danach. Deine Absicht war nobel, aber hmm, wahrscheinlich kann sie sowieso nicht mehr hier weg und nach eurer Erzählung hat sie auch nichts, wohin sie zurückkehren könnte. Also gut,“ er wandte sich an Elena, „Viridicus mein Name.“
Klein-Elena versteckte sich die ganze Zeit hinter ihren Vater und schaute schreckerfüllt auf die beiden Patrone.
„Hermann könnte für Turkey arbeiten. Er ist ausgebildeter Bauer und frisches Obst, Beeren und Kräuter könnte unser Meisterkoch doch bestimmt gebrauchen. Ansonsten empfehle ich ihn der Seelenkammer, aber das nur unter uns.“ Ich legte eine kleine Pause ein.
„Allerdings möchte ich eurem Argument von vorhin etwas entgegenhalten.“ Ich zeigte auf den Hund. „Wir haben ja den da mitgebracht und er ist auch nicht gestorben.“
„Ja, das ist ein gutes Beispiel von Unwissenheit. Der Hund ist nicht von der Materiellen Ebene, sondern ein abyssales Geschöpf. Der kann hier natürlich sein.“
„Elena ist, so gesehen, auch ein extraplanares Wesen und auch noch 500 Jahre aus der Zukunft. Aber wahrscheinlich fehlt mir schlicht das Wissen, um das beurteilen zu können.“
„Das ist wahr. Sag mal, mein lieber Ghaundar, männliche Drow gehen doch nicht auf die arkanen Schulen, sondern sind eher dem Körperlichen zugewandt?“
„Das ist zwar richtig, aber aus der Vergangenheit unserer Rasse ist bekannt, das Männer und Frauen gleich gut zaubern konnten. Die jetzige Situation hat etwas mit Zuchtwahl zu tun. Aber manchmal keimt diese Fähigkeit immer noch in Männern. Das ist nicht gut für sie, denn sie werden aussortiert, zu was auch immer. Da ich ja frühzeitig gestorben bin …“
Viridicus räusperte sich und unterbrach meinen Redefluss.
„Mit allem nötigen Respekt, mein lieber Ghaundar, aber ich habe eine wesentlich weitreichendere arkane Ausbildung als du. Glaub es mir einfach, extraplanare und materiellen Ebenen sind getrennt. Das hat etwas mit dem Geist der Ebenen zu tun. Ansonsten bräuchte man keine Beschwörer und wir könnten ebenfalls frei in euer Welt wandeln.“
„Ah ja, das sehe ich ein.“ Ich verbeugte mich.
Viridicus wandte sich an die beiden Halblinge. „Die genauen Vertragsbedingungen werden wir in den nächsten Tagen noch festlegen, aber ich mache euch darauf aufmerksam, dass eure Seelen für die nächste Zeit an diesen Ort gekettet sind.“
„Was?“ Hermann schreckte auf.
„Was?“ Elena schaute noch ängstlicher als vorher.
„Nun, besser als auf dem Altar zu liegen und unter dem Messer zu schreien.“ Xera würgte jede aufkeimende Diskussion brutal ab.
„Etwas anderes. Dort draußen scheint eine Feier stattzufinden, über die jeder Bescheid weiß außer uns, weil wir ja nicht da waren. Ich vermute, wir schließen uns den anderen Agenten bei Turkey an?“, fragte ich.
„Das stimmt, die Feier geht noch die nächsten zehn Tage. Man muss ja feiern, wenn etwas Gutes passiert.“ Er schaute verliebt zu Saira hinüber und ich unterdrückte meinen innerlichen Brechreiz.
„Vergnügt euch. Ihr habt, mal wieder, möchte ich betonen, einen fordernden Auftrag erledigt, den die meisten meiner Agenten nicht geschafft hätten. Ich gebe euch zwei Wochen Urlaub. Ich habe da eine schöne celestische Ebene für euch im Auge. Sobald ihr genug vom Essen und Trinken habt, nehmt Behemoth, eurer Ziel ist einprogrammiert.“
Wir verbeugten uns. „Unseren herzlichsten Dank, eure Gönnerschaft und euer Imperatrix.“
Saira genoss das Kompliment sichtlich. Wir schnappten uns die beiden Halblinge und bugsierten sie nach draußen.
„So meine Lieben, wir zeigen euch jetzt das beste Restaurant im Universum. Dort bekommt ihr auch eure Zimmer für die nächste Zeit.“
„Ist gut …“ Beide wirkten nicht glücklich.
„Da sind viele tolle Leute. Die sehen zwar was komisch aus, aber sind alle sehr nett.“
„Wer war der rote Mann mit den vier Armen?“, wollte Elena wissen.
„Das ist Viridicus, der Patron hier. Er sagt den Leuten, was sie zu tun haben.“
„Ich habe mit dem Baron gesprochen?“
„Patron, nicht Baron, aber ja, so könnte man das sagen. Und die fliederfarbene Frau neben ihm ist die Baronin. Die sagt ihm dann, was er zu tun hat.“
Elena seufzte. „Hach, ist die schön. So will ich auch mal sein, wenn ich groß bin.“
Ich lachte. „Sag ihr das mal bei Gelegenheit. Sie mag Komplimente.“
Draußen wurde es besser. Elena sah sich interessiert um, betrachtete die Bäume und die Vögel und wirkte etwas glücklicher. Hermann, der seine Nutzlosigkeit erkannt hatte und der seine Schuld immer klarer vor Augen sah, schleppte sich hinter uns her.
Bei Turkeys hatte die Musik eingesetzt. Überall waren Leckereien aufgebaut und Elena steuert zielsicher auf die Eiscreme zu. Ich ging zu Turkey, der gerade einen riesigen Kuchen nach draußen schaffte. Die Torte war zehnstöckig und erinnerte an ein Zikkurat. Darauf war aus Zuckerguss der Spruch ‚Meretrix Babylon‘ geschrieben. Ich passte ihn ab, nachdem er die Torte am Buffet aufgebaut hatte. Mit fiel auf, dass der Spruch auf jedem Kuchen stand. Später erfuhr ich, was das hieß: ‚Hure Babylon‘. Entweder war das ein Ehrentitel für Saira oder eine Beleidigung. Im letzteren Fall würden wir einen neuen Koch brauchen.
Aber jetzt und hier vergewisserte ich mich, dass wir noch unsere Zimmer hatten und bestellte eins für die Halblinge. Da Turkey gerade wenig Zeit hatte, nahm ich mir die dahingeworfene Nummer selber aus dem Schlüsselkasten am Eingang. Ich erzählte ihm von meiner Idee mit dem Kräutergarten und er schien nicht abgeneigt.
„Hier beginnt ja eh alles Mögliche zu sprießen,“ sagte er säuerlich.
„Ich hab’s bemerkt,“ erwiderte ich. „Wie geht es denn mit ihrer Imperatrix? Kommt ihr beide zurecht?“
„Mit uns? Wunderbar, alles gut. Sie war noch kein einziges Mal hier. Alles in bester Ordnung.“
Das war es offenbar nicht, so wie er sich anhörte.
„Was bedeutet der Spruch auf dem Kuchen?“
„Och, nur ein weitere Ausspruch zu Ehren ihrer Ankunft.“ Turkey schwitzte stärker.
Ich starrte ihn an. „Ich verstehe, Turkey. Ich verstehe, was du mir nicht sagen möchtest. Ist Thorfinn in seiner Schmiede oder ist er auch irgendwohin eingeladen worden?“
„Keine Ahnung, im Herrenhaus gibt es noch kleinere Geselligkeiten für die, denen es hier zu voll ist.“ Er schwitzt noch stärker.
„Setzt euch. Genießt, was ich hier gekocht und gebacken habe. Vielleicht würdigt IRGENDJEMAND HIER MEINE ARBEIT!“
„Das ist alles vom Feinsten“, beruhigte ihn Xera. „Du hast dich mal wieder selbst übertroffen.“
„Das ist die größte Torte, die ich bisher gesehen habe“ lächelte ich, „und ich stamme aus einem Adelshaus. Ich habe einige Torten in meinem Leben gesehen.“
„Ich hoffe es“ schluchzte er und verschwand in die Küche. Wir sahen uns an. Er war von irgendetwas stark erschüttert worden. Sairas Rückkehr schien ihn sehr zu stören.
Ich schnappte mir die beiden Halblinge. Elena war mittlerweile bei der dritten Riesenschüssel Erdbeereis angelangt. Ich drückte Hermann den Schlüssel in die Hand und erklärte ihnen, wo sie das Zimmer finden würden. Wir hätten noch was zu tun, aber spätestens beim Frühstück würden wir uns wiedersehen. Hermann war völlig fertig mit der Welt und, halblingsuntypisch, hatte er noch nichts gegessen.

„Mir ist es hier, ehrlich gesagt, ziemlich überfüllt. Lass uns mal nach Thorfinn suchen.“ Wir fanden ihn in seiner Schmiede, wo auch sonst. Er schien kein Partylöwe zu sein. Auf seinem Kopf balancierte ein süßer rot-weiß gestreifter Papierhut, der allerdings für Menschen gedacht war. Bei ihm sah es lächerlich aus.
Xera grinste und zeigte auf den Hut. „Entzückend.“
Er seufzte. „Ich weiß. Er ist leider verzaubert und nicht abnehmbar. Wenn ihr lange genug hierbleibt, dann wächst euch auch einer.“
„Sag mal, wir haben so den Eindruck, dass dein alter Kumpel Turkey stark angepisst ist. Hat du eine Ahnung, weswegen? Ich kann es ja verstehen. Wenn man mir das Haus unter dem Hintern umgestaltet, wäre ich auch nicht erfreut.“
„Ich weiß es nicht. So aufgebracht habe ich ihn auch noch nicht erlebt. Ich habe aber keine Ahnung, was ihn jetzt genau so erbost hat. Saira hat er nie kennengelernt, nur die negative Stimmung von Viridicus hatte er mitbekommen.“
„Vielleicht hat er Angst, dass sich das wiederholt?“
„Ach, ich traue dem alten Haudegen durchaus zu, dass das diesmal anders abläuft.“
Wir unterhielten uns noch ein wenig über dies und das und verabschiedeten uns dann. Was nun? Xera und ich hatten keine Idee. Daher beschlossen wir, es einfach mal laufen zu lassen und uns ein wenig zu amüsieren. Schließlich hatten wir zwei Wochen Urlaub gewonnen, nicht wahr?

„Was meinst du? Suchen wir uns ein ruhiges Fleckchen, stellen uns ein Picknick zusammen und essen draußen?
„Hervorragende Idee“, meinte Xera, „das passt mir ebenfalls gut.“
Wir betraten den Diner erneut. Die Tür zur Küche flog auf und Turkey kam heraus.
Er schob einen großen Servierwagen nach draußen. Auf dem Wagens lag ein großes Tablett, welches mit Salatblättern und Gemüsestücken garniert war. Was fehlte, war der Braten, der darauf liegen sollte. Turkey zog ein großes Fleischermesser. Er schwitzte noch mehr.
„Jetzt kommt der Hauptgang! Da habt ihr alle drauf gewartet, nicht wahr? Noch mehr ZU FRESSEN?“ Seine Stimme wurde immer schriller. „DANN SEHT, WAS ES GIBT, MUHAHAHA!“
Er schnitt sich mit einer eleganten Bewegung eine dicke Scheibe Fleisch aus seinem Gesicht. Bratensaft rann aus der Wunde und es wurde merklich leiser im Raum, als alles entsetzt auf die Szene starrte. Er drapierte das Fleisch auf den Salat und dann folgte die zweite Scheibe. Xera versuchte, ihm das Messer abzunehmen, aber er wich geschickt aus und säbelte weiter an sich herum.
Ich schnappte mir ein leeres Tablett, schlich mich hinter ihn und schlug zu, so fest wie ich konnte. Es hallte laut wie von einem Gong und er ging zu Boden wie ein abgestochener Truthahn. Xera löste sich ebenfalls aus ihrer Erstarrung und wir schleppten den bewusstlosen Turkey in die Küche und legten ihn auf eine Anrichte. Dort heilte sie ihn.
Die Küche hatte mich immer interessiert. Die musste doch magisch sein ohne Ende. Aus welchen Ebenen holte er denn sein Essen? Drinnen standen außer ein paar Gewürzen und jede Menge Teller, Schalen und Bestecke nämlich nichts, was auf Kochen hindeuten würde.
Wach wurde er erst einmal nicht mehr. Dafür brabbelte er unverständliches Zeug vor sich hin. Aus dem Wenigen, was ich verstand, gewann ich den Eindruck, dass er extrem eifersüchtig auf Saira war.
Wir beschlossen, auf ihn aufzupassen. Unser Picknick hatten wir ja schon beisammen, also aßen wir in der Küche. Dann ging Xera schlafen und ich fiel in meine Trance.
Irgendetwas schwirrte mir durch den Kopf. Etwas, was ich während meiner religiösen Ausbildung gehört hatte. Meretrix? Sukkubus? Dämonenprinzessin? Königin der Sukkuben? Ich musste nachdenken.

Nach der Trance ging ich nach draußen. Turkey lag unverändert im blechernen Tiefschlaf. Im Diner schlug die Stimmung hohe Wellen und die ersten Schnapsleichen lagen in den Lachen auf dem Boden herum. Das brauchte ich nicht und setzte mich an den Springbrunnen.
Dort hatte ich eine Idee. Die Idee betraf mein Auftreten vor Fremden, in dem Fall vor Dunkelelfen. Ich sah mich in meiner gewöhnliche Reisekleidung reden und sie lachten. Mir wurde klar, dass ein Bettler zwar weise Worte sprechen kann, diese aber nicht wahrgenommen werden würden. Ich brauche eine Art Uniform und im Geist sah ich eine sehr exaltierte Rüstung, komplett mit Spinnenemblem auf der Brust, die ich einmal in einem Museum in Menzoberranzan gesehen hatte. Die Rüstung war seht alt gewesen und es war eine Männerrüstung. Das hatte mich damals schon gewundert. Das Emblem würde ich allerdings durch einen Drachen ersetzen.
Xera hatte am Morgen noch den guten Vorschlag, die Spinne trotzdem drauf zu setzen, um sie im geeigneten Moment abreißen zu könne. Das war ein sehr guter Vorschlag! Hätte ich ihr gar nicht zugetraut.
Turkey hatte sich wohl wieder gefangen, jedenfalls wirkte er, als er uns unser Frühstück brachte, wieder recht normal. Wir sagten ihm, dass er immer auf uns zwei zählen könne. Das freute ihn sichtlich und er schniefte leise. Dann baten wir ihn seine Ohren beziehungsweise seine Ohrschenkel offen zu halten. Wir würden Saira auch nicht so hundertprozentig vertrauen. Das versprach er uns.
Dann redeten wir mit den Halblingen, vorzugsweise mit Elena, die hier das hellere Köpfchen hatte und war. Ich legte ihr noch einmal das Kräuter- und Blumengartenprojekt ans Herz und dass sie das mit Turkey besprechen solle.
Der Tag ging hektisch weiter, denn meine Lilith hatte ich auch noch nicht richtig gesehen. Ich traf sie im Gang vor dem Arbeitszimmer an. Sie wirkte etwas kühl, was ich verstehen konnte. Also stürzte ich mich mit aller gebotenen Herzlichkeit auf sie und pflanze ihr einen dicken Kuss auf den Mund.
„Lilith, mein Schatz, ich bin so froh, dich zu sehen.“
„Ghaundar, mein Spielzeug, das hat ja was gedauert.“
„Das stimmt leider, ich musste noch einige Dinge mit Viridicus und Saira klären und dann hat der arme Turkey einen Nervenzusammenbruch erlitten. Aber hier bin ich endlich. Alle Wege führen mich zu dir.“
„Hm.“
„Sag mal Geliebte, ist die Häutungsprozedur nun vorbei? Hast du wieder bessere Laune?“
„Du hast da eine seltsame Obsession bezüglich meiner Haut entwickelt.“
„Nun, lass es ich so sagen: Mein höchstes Glück, von der Geliebten ein Stück.“
Ihr stählerner Blick wurde weicher. „Nun gut, das lässt eine fast verdorrte romantische Saite in mir erklingen. Du kannst etwas davon haben, eine halben Quadratmeter. Wenn du sie überhaupt schneiden kannst. Was willst du damit genau?“
„Ich plane eine Art Prunkrüstung und da wäre Dämonenhaut der absolute Hingucker.“
Sie öffnete eine Türe neben dem Büro. Dort lag eine etwa zehn Meter lange Schlangenhaut.
„Tu, was du nicht lassen kannst. Ich frage mich nur, wie du das schneiden möchtest.“
Ich lächelte und zog eines meiner magischen Kurzschwerter. Mit einem schnellen Schnitt trennte ich ein Stück Haut ab. Ihre Augen verengten sich, als sie merkte, dass ihre undurchdringliche Haut so einfach durchschnitten werden konnte.
„Interessant, mein Geliebter, wirklich interessant. Ich werde mir für die Zukunft etwas überlegen müssen.“

Thorfinn war nicht so angetan davon, eine Rüstung ohne Funktion, aber mit viel Dekoration zu schmieden, aber er willigte ein. Er würde auch die Hilfe der Schneiderin brauchen, damit er die Dämonenhaut integrieren konnte.

Danach verbrachte ich die Nacht mit Lilith. Am nächsten Morgen würden wir abreisen und dann konnte ich mich auskurieren.

-> Level up!
Kein Plan reicht mit einiger Sicherheit über das erste Zusammentreffen mit den Spielern hinaus.
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Re: Tales from the Table (D&D 5E): Death men don't wear plate

Beitrag von Mercen »

Rasatala

Dramatis personae:
Ghaundar Vandree Dunkelelf Schurke (Attentäter) 4
Zauberer (Drache) 3
Xera S'smaran Drachengeborene Paladin (Rache) 7

Wir machten uns auf den Weg, Xera frisch und ausgeruht und ich leicht angeschlagen. Am Lenkrad hing eine kleine Figur an einem Silberkettchen. Es war ein Drache, wenn ich das richtig sah. Xera hatte ihr Revier in der Zwischenzeit markiert. Da fehlte nur noch der Drachenkopf vorne anstelle des Bartteufels.
Ich zeigte auf den Drachen und grinste.
„Was möchtest du mir damit sagen?“, fragte Xera mit hochgezogener Augenschuppe.
„Nun, du hast bereits eine kleine Drachenstatue an das Lenkrad gehängt. Ich habe mich nur gewundert, dass du noch nicht das Bartteufelsemblem heraus gerissen und es durch eine von Thorfinn geschmiedete Drachenplakette ersetzt hast.“
„Kommt noch“, erwiderte sie lakonisch.
‚Rasatala‘ stand im Bordcomputer als Ziel. Das sagte uns nichts. Mal sehen, wo wir landen würden. Wir rasten in die Dunkelheit. Es wurde hell und wir hörten Behemoths Stimme:
„Warnung! Gefährliche Landung! Schutzprotokolle werden aktiviert.“
Die Scheiben flammten auf, es wurde hell und wir spürten das magenhebende Gefühl des freien Falls. Dann ertönte ein lautes Platschen, als wir in etwas Nassem landeten und wir wurden sehr unsanft in unsere Sitze gepresst. Es begann, penetrant nach verbrannter Milch zu riechen. Behemoth ging unter wie ein Stein. Als wir schon dachten, dass wir gleich ertrinken würden, hörten wir ein seltsames Geräusch. Das klang, als würden sich die Reifen horizontal stellen und wir bekamen Auftrieb.
Die Scheiben fuhren herunter. Die Sonne blendete mich auf der Stelle. Wir waren in einem Meer aus Milch. Weit und breit war nichts zu sehen außer der Sonne, dem blauen Himmel und dem weißen Meer. Als wir uns an die Helligkeit gewohnt hatten, sahen wir in der Ferne Lotosblätter und -blüten. Die waren gigantisch.
Es war friedlich und die einzigen Geräusche machte unser Behemoth, der langsam über das Milchmeer trieb. Eins wunderte mich. Wieso konnte ein Höllengefährt so einfach in den celestischen Raum fahren, ohne sofort verdampft zu werden? Egal, wir nahmen Kurs auf den Lotos.
Was hatte Viridicus bloß zu diesem Ziel bewogen? Hier gab es keine Strandbar und ähnliche Vergnügungen. Das war einfach ein großes weißes Meer ohne irgendwelche Ablenkungen, vom Lotus einmal abgesehen. Der Gönner hatte seltsame Ideen. Oder sollte die Reizarmut dazu führen, dass wir nach ein paar Tagen nach einem neuen Auftrag lechzen würden?
Es gab keine Wellen, außer denen, die wir selbst erzeugten. Nicht die leistete Bewegung störte die Oberfläche. Nach einiger Zeit erreichten wir die Ansammlung der Pflanzen. Wir hörten Vogelgezwitscher und Insektensummen. Diese Pflanzeninseln schienen für die Tiere hier ein Refugium zu bieten.
Meine Angel meldete sich und wollte unbedingt nach draußen. Also holte ich sie aus dem Beutel und warf sie aus. Dran hatte ich nach kurzer Zeit eine Lotosfrucht. Sie sah genau richtig reif aus und roch lecker. Und sie war gute fünf Meter im Durchmesser. Ich sprang auf die Frucht und schnitt ein paar große Stücke heraus. Die warf ich Xera zu. Dann sprang ich zurück in den Wagen. Dort probierten wir sie und ich muss sagen, das war lecker.
Die Sonne war bereits auf dem absteigenden Ast, was mich sehr freute. Ich schwebte nach dem frühen Abendessen nach oben und suchte nach irgendwas, was die Reise lohnen würde. In der Ferne erspähte ich weitere Lotosinseln und ganz weit entfernt ein riesiges Lotosblatt, Richtung Sonnenaufgang.
Xera wollte noch ein wenig meditieren, bevor wir uns auf den Weg machten. Sie legte sich auf die Milch und sank ein wenig ein, aber das war’s auch schon. Später erzählte sie, dass kurz in der Milch ein platinfarbener Schatten zu sehen gewesen wäre und lächelte glücklich. Ich schob’s auf die Sonne. Bahamut ist für sie wohl überall.
Ich meditierte dieweil mit der Angel und fing einen großen weißen Kofferfisch und danach einen weißen Lachs. Uns stand nicht der Sinn nach rohem Fisch, daher ließ ich sie wieder frei.
Dann setzten wir Kurs auf das riesige Blatt. Es wurde langsam dunkel und wir schipperten gemütlich unter Mond- und Sternenlicht unserem Ziel entgegen.

Gegen Morgen, es war noch recht dunkel und nur der Mond schien, erreichten wir unser Ziel. Das war die Großmutter aller Lotospflanzen, gute 1000 Meter im Durchmesser und das Blatt war etwa einen Meter dick.
Neben dem Blatt trieb ein deutlich kleineres Blatt, auf dem Votivgaben lagen. Es war die Statue einer liegenden weißen Kuh, umgeben von kleinen Schälchen mit Reis und Obst. Das Ganze war mit Girlanden verziert worden. Es musste hier also irgendwo Bewohner geben.
Wir gingen an Land, wenn man das Land nennen konnte. In der Mitte war eine trichterartige Vertiefung zu erkennen. Dorthin machten wir uns auf den Weg.
In dem Trichter war ein schimmernd klarer Teich aus Wasser. Er war natürlich magisch und es war Erkenntnismagie. Das sah harmlos aus. Wir beschlossen, den Teich auszuprobieren. Schließlich waren wir in Celestia, was sollte schon passieren?
Ich zog mich aus, stieg in den Teich und nahm einen Schluck. Das war da wohlschmeckendste Wasser aller Zeiten. Die Magie begann zu wirken und meine Augen wurden weiß.

Ich sehe ein goldenes Licht. Nebel wallt darin auf. Eine große weiße Kuh bildet sich, liegt auf der Seite und reckt ihren prallen Euter ins Licht. Sie sieht mich mit seelenvollen braunen Augen an. Kleine humanoide Gestalten trinken an der Milch und machen sich dann auf den Weg. Ich konzentriere mich auf eine und sehe ihren Lebensweg.
Sie geht in eine große Stadt. Sie wird gewählt und sitzt auf einem prächtigen Stuhl. Andere kleine Gestalten beten sie an. Eine andere Gestalt betritt einen Tempel und arbeitet sich in die höchste Position empor. Alle diese Gestalten werden zu großen Persönlichkeiten der Weltgeschichte, und dass nicht immer zum Guten. Ich sehe auch Tyrannen und brutale Kriegsherren. Aber alle werden wichtige Persönlichkeiten.


Ich will an diesen Euter. Jetzt und hier. Wir werden diese Kuh suchen. Keine Diskussion. Ich erzählte ihr nichts von meiner Vision und bat sie, sich das selber anzusehen. Dann könnten wir die Visionen vergleichen. Xera stieg ebenfalls in den Teich und nahm einen Schluck. Ihre Augen wurden weiß.

Xera: Ich sehe ein platinfarbenes Licht. Langsam erscheint eine liegende Gestalt und Schuppen bilden sich auf dem Körper. Das längliche Gesicht ist kuhartig, aber Bahamuts Gesicht spiegelt sich darin. Die Gestalt hat sich um etwas gewickelt. Es sieht aus wie ein Nest mit hunderten von Dracheneiern. Manche sind schlupfbereit und eines davon bricht gerade auf. Ich sehe eine kleine humanoide Gestalt und verfolge ihren Lebensweg, der von Kämpfen und Rückschlägen gezeichnet ist. Irgendwann sehe ich sie als Sieger auf einem großen Schlachtfeld mit einer blutigen Waffe in der Hand stehen. Dann beginnt eine weitere kleine Gestalt ihren Weg und endet auf einem Thron mit tausenden von Anhängern. Als ich genauer hinsehe bemerke ich die winzigen Schuppen. Das sind alles Drachengeborene! Das ist mal eine Vision. Ich habe den Eindruck, dass dies alles Abkömmlinge der großen Drachen sind.

Dann endete die Vision und Xera schreckte auf.
„Huch, was für ein Traumbild. Ich habe Bahamut gesehen!“
„War klar. Keine Kuh?“
„Nun, er war schon kuhähnlich, wenn du es so sagst. Aber auch drachenähnlich. Und es waren Drachengeborene, die aus den Eiern geschlüpft sind.“
„Und? Was haben die gemacht?“
„Alles Mögliche, Krieger, Gelehrte, Anführer, so etwas halt.“
„Das war bei mir auch so, nur dass ich die Gestalten nicht identifizieren konnte. Für mich waren es Humanoide, Menschen, Elfen und so weiter. Aber ich habe den Eindruck, dass der Ursprung dieser Lebenswege hier auf dieser Welt zu finden sein könnte. Bei mir war es eine Kuh, an deren Euter die Gestalten tranken, bevor sie sich auf den Weg machten. Wir sind hier in einem Milchmeer. Es könnte doch sein, dass der nimmer versiegende Euter hier irgendwo zu finden sein könnte.“
„Bei mir waren es aber keine Euter, sondern Eier.“
„Das muss man abstrahieren. Ich stamme von Säugern ab und du von Eierlegern. Aber wir haben beide unseren Weg in warmer und flüssiger Dunkelheit begonnen. Ich probiere gleich mal was.“
Xera nahm sich noch etwas von dem Wasser aus dem Teich mit. Wir machten uns auf den Rückweg und, am Rand des Blattes angekommen, schnitt ich ein paar Schnipsel heraus. Diese legte ich auf die Flüssigkeit. Nach meiner Theorie müsste es eine leichte Strömung, weg von dem Milch spendenden Euter, geben. Das Ergebnis war: Nichts. Keine Strömung. Schade, das war eine gute Idee gewesen.
Xera hatte eine zündende Idee. Vielleicht wäre es die Richtung des Sonnenaufgangs? Das wäre doch wie eine Geburt des Lichts? Gute Idee. Dann machen wir uns mal in diese Richtung auf den Weg.

Zurück an Bord des Behemoth warf ich wieder die Angel aus. Mir war nach Lachs-Sushi. Anstelle eines Fisches hatte ich aber was anderes an der Angel. Es war eine kleine rosafarbene Lotosblüte mit einem kleinen grünen Stiel. Sie schien nicht organisch, sondern künstlich zu sein. Magisch war sie natürlich auch. Es schien sich um Veränderungsmagie zu handeln. Sie schien die Sinne zu schärfen, was immer das zu bedeuten hatte.
Xera hatte noch eine Idee. Sie hatte ja eine platinfarbene Vision im Meer gesehen. Sollte man mal unten nachsehen? Warum nicht, wir hatten ja Zeit.
Ich versuchte es erst einmal mit ein wenig treiben lassen. Das Einzige, was ich bemerkte, war ein innerer Drang, unten mal nachzuschauen. Das erzählte ich Xera und die beschloss, mal mit ihrer Atemmaske nachzusehen. Ich seilte sie an. 30 Meter hatten wir. Hoffentlich reichte das.
Xera versank im Milchozean. Die Blüte nahm sie mit.

Xera: Ich sinke nach unten. Die milchige Substanz wird langsam dunkler und ich habe das Gefühl, es wandelt sich in eine Schattenwelt. Dann sehe ich ein paar rote Augen in der Dunkelheit aufleuchten. Und ein zweites Paar und ein drittes. Klackende Mandibel werden sichtbar und das Gift, das aus ihnen tropft, vermischt sich mit dem Ozean. Ich rucke an dem Seil, damit Ghaundar mich hoch zieht. Ich spüre die Bewegung, aber es geht langsam. Der Drow ist ja nicht der kräftigste. Ich ziehe mein Schwert, welches ohne mein Zutun aufflammt. Es ist nicht das gewohnte Gleißen, sondern blendende Helligkeit. Mir gegenüber schwimmt eine Art Spinne, aber das ist ein Dämon, da bin ich mir sicher. Ich bohre ihm meine Klinge in den haarigen Körper und er beginnt zu zerfallen.
Auf dem Rücken sitzt eine humanoide Gestalt, die mich in dunkelelfisch verflucht. Das Einzige, was ich verstehe, ist ‚Lolth‘. Sie zieht zwei Dolche und versucht, mich anzugreifen. Mein Schwert wischt durch die Dunkelheit und zerschneidet sie in zwei Teile.
Die Schatten wirbeln wieder zusammen und ich sehe eine platinfarbene Gestalt unter mir auftauchen. Dann höre ich eine donnernde Stimme: ‚Verbrenne sie. Verbrenne die Unholde. Verbrenne die Netze, in denen sie hausen. Brenne alles nieder. Bringe Licht in die Dunkelheit.‘


Endlich zog ich die tropfnasse Xera an die Oberfläche. Das Schwert glühte noch leise vor sich hin. Die Blasen und das unterseeische Leuchten hatten mich schon vorgewarnt, dass da was passiert war. Xera erzählte es mir kurz und versuchte, den Satz des ausgemergelten Drow zu wiederholen, aber das Gebrabbel sagte mir nichts, bis auf den Namen natürlich.
Lolth.
Da ist eine Schlange im Paradies. Und was für eine. Ach du Scheiße.
Auf Xeras Brust hatte sich etwas verändert. Ein paar ihrer Schuppen hatten sich goldfarben verfärbt und fühlten sich warm an.
„Ich glaube, ich muss nochmal da runter“, sagte Xera, als sie mir von Bahamuts Wunsch berichtet hatte.
„Dann begleite ich dich.“
„Wie willst du das denn machen?“
„Ich habe da noch einen Trank, der etwas an meinem Aussehen und meinen Fähigkeiten verändert. Du erinnerst dich an die unglückselige Expedition in Fischli-Land? Der Trank macht mich für einige Zeit zu einem KuoToa. Ansonsten wärst du da unten sehr alleine.“
„Das ist wahr“, seufzte sie. „Dann hoffen wir mal, dass sich der Trank auch an das hält, was du glaubst.“
Das hoffte ich auch. Ich schluckte das Zeug und es traten sofort körperliche Veränderungen auf. Die schnelle und gewaltsame Umwandlung von Drow zu KuoToa war sehr schmerzhaft. Mir wuchsen in Minutenschnelle Kiemen und Paddelfüße. Mein Zunge schwoll an und ich konnte nur noch blubbernd reden. Die Augen wanderten seitlich an den Kopf und traten kugelförmig hervor. Die Haut wurde schleimig und ich konnte in mehrere Ebenen sehen.
Aber ansonsten fühlte ich mich innerlich noch sehr als Ghaundar. Dann mal los. Ich ließ mich ins Wasser, also in die Milch gleiten. Mit mir nahm ich nur die Schultergurte mit den Schwertern und den Gürtel mit der magischen Tasche. Das war eine Wohltat. Das hier war mein Element!
Wir sanken gemeinsam in die Tiefe, also Xera sank und ich schwamm Kreise um sie herum und hielt Ausschau. Schnelles Auftauchen für Xera war so nicht möglich, da musste ich sie schon schieben.
Es war weiß um mich herum. Ich wusste zwar ungefähr, wo ich war, aber sehen konnte ich nicht viel. Plötzlich tauchten Schatten auf, die sich zu schwärzlichen Gitterstäben oder Strängen formten. Sie hatten etwas spinnennetzartiges. Real war das alles nicht, aber sie erinnerten mich stark an die künstlerischen Darstellungen des Netzes im Abyss, in denen Lolth lebte. Mir wurde langsam warm.
Xera erzählte mir später, dass sie nichts gesehen hatte. Das war wohl ganz alleine meine Vision.
Vor und über mir erschien eine Gestalt.
Sie war riesig.
Sie war weiblich.
Sie war schön.
Sie war eine Drow.
Sie war meine Schwester.
Bei mir begann das Blut zu brodeln. Es wirkte, als würde sie auf mir stehen, triumphierend einen Stiefel auf meine Brust drückend. Alle Schmach, die sie verursacht hatte, fiel mir schlagartig wieder ein. Die verlorenen Freunde, die toten Haustiere, das Hohngelächter, wenn ich wieder einmal versagt hatte.
Sie muss sterben, das wurde mir jetzt klar.
Ich fasste mein Bahamut-Amulett an, drückte es und ließ einen Hexenpfeil der höchsten Stärke, zu der ich fähig war, auf sie fliegen. Der hätte treffen müssen, aber mit einem Lächeln wischte sie den Spruch beiseite. Trotzdem wirkte sie erstaunt.
„Du Köter, was wagst du dich!“
„Im aen zar’ithra“, fauchte ich.
Also folgte direkt ein zweiter. Der traf, richtete aber so gut wie keinen Schaden an. Auch diesen wischte sie beiseite.
„Ich habe dich wohl nicht hart genug erzogen.“
Mit Magie war ihr wohl nicht beizukommen. Ich wand mich mit einer geschickten Bewegung unter ihrem Fuß hervor, zog mein Kurzschwert und rammte es mit aller Kraft in ihre Seite. Das Schwert drang tief in ihren Körper ein und trat auf dem Rücken wieder aus. Sie spuckte Blut und röchelte:
„Lolth würde das niemals zulassen. Von einem Mann …“
Die Gestalt löste sich in Tinte auf und verschmolz mit dem Meer.
„Niemals ...“ wehte ein letzter Hauch an meine Ohren.
Die Netze lösten sich auf und das Meer wurde normal.
Xera bekam davon nicht viel mit, merkte aber, dass etwas nicht stimmte. Also rief sie ihren Gott und bekam eine rumpelnde Antwort:
„Schau in die Tiefe. Schau unter die Erde. Schau in die netzverhangenen Höhlen. Dort wirst du sie finden.“
Sie nahm das Wort ihres Gottes wörtlich, aber nachdem wir den Meeresgrund erreicht hatten, fiel uns auf, dass das wohl im übertragenen Sinne gemeint war. Die Gegner waren wohl nicht in dieser Welt zu suchen. Allerdings fanden wir einen kleinen goldenen Ring mit einem milchigen Diamanten daran. Der war zwar magisch, aber was er konnte, würde sich noch erweisen müssen. Ich musste mich mal dringend mit dem Identifizieren beschäftigen. Ich zog ihn an.
Dann kletterten wir an Bord und fuhren wir Richtung Sonnenaufgang.

Ich überlegte während der Nachtfahrt, welches denn der Ort sein könnte, den Bahamut meinen könnte. Mir fielen da nur zwei ein, zum einen die Tiefen Reiche mit Menzoberranzan und Ched Nasad, zum anderen natürlich das Netz, Lolths Heimat im Abyss. Am Morgen erzählte ich das Xera und fügte hinzu:
„Für dich gibt es da nur eine Zutrittsmöglichkeit, nämlich als Sklave.“
„Hä?“
„Natürlich als meine persönliche Leibwächterin. Ohne eine solche Scharade würdest du sofort von anderen beansprucht.“
Ihrem Gesicht nach würde ich das nicht überleben, wenn ich es übertreiben sollte. Wahrscheinlich bekäme ich an jeder dunklen Ecke erst einmal eine Ohrfeige.
„Du meinst also, dass wir hier nichts finden?“, fragte Xera noch einmal nach. „Ich hatte den Eindruck, gegen einen sehr realen Spinnendämon gekämpft zu haben.“
„Bei mir war es meine Schwester, die allerdings viel größer als in Wirklichkeit war. Ich habe ihr auch sehr real mein Schwert in ihre Rippen gerammt. Schwammen hinterher Blut und Leichenteile oben?“
„Nein“, sagte Xera nachdenklich.
„Daher glaube ich, dass beides eine Vision war“, erwiderte ich. „Ein Auftrag für die Zukunft. Allerdings sollte sich Bahamut noch gut überlegen, wie er Viridicus davon überzeugt.“
„Wäre das dann Lolth?“
„Ich glaube eher, dass es um meine Schwester geht. Allerdings haben wir selbst damit … Schwierigkeiten. Es gibt natürlich Verbündete und Feinde dort. Ich war jetzt lange nicht mehr da. Ich weiß nicht, welche Position des Haus Vandree nun innehat. Meine Schwester war ehrgeizig, was der Grund war, warum sie meine Mutter aus dem Weg geräumt hatte. Ich weiß nicht, wer Verbündeter und wer Feind ist. Und das Schlimmste am Schluss: Ich bin ein Mann. Das ist eine schwierige Ausgangslage. Hinzu kommt noch eine Kleinigkeit: Wenn man meine Schuppen bemerkt, bin ich ein zar’ithra, ein Drachenzauberer. Dann stecke ich schneller auf dem Pfahl mit dem Feuer unten drunter als ich ‚Hilfe‘ sagen kann.“
Dann fiel mir noch etwas ein und auf.
„Ich hatte vor ein paar Tagen die komische Idee, mir eine dunkelelfische Prunkrüstung machen zu lassen. Das ist doch seltsam, oder? Wieso hatte ich die Idee und jetzt brauche ich diese Rüstung?“
Ich sah Xera erbost an.
„Wie ist das eigentlich so als Paladin? Ich bekomme langsam eine Idee davon wie es ist, nicht mein eigener Herr zu sein.“
Ich war unwillkürlich lauter geworden. Xera grinste mich breit an.
„Das ist ein gutes Gefühl, gell?“
Ich wandte mich ab und atmete tief ein und aus.
„Wir sollten zurück fahren. Wir haben noch zehn freie Tage und die sollten wir dafür nutzen.“
„Hm“, meinte Xera, „das sehe ich nicht so. Mein Ausflug in das Kloster war auch Arbeitszeit. Ich denke, wir bleiben noch was und suchen die Kuh. Bahamut wird sich schon was einfallen lassen, damit Viridicus und Saira die richtige Idee haben.“
„Das ist ein gutes Argument“, nickte ich nachdenklich, „du könntest recht haben. Wenn es irgendwo viele schicke böse Artefakte gibt, dann in der Hauptstadt der Drow.“
„Wenn wir überhaupt noch Artefakte suchen müssen. Saira plant was, da bin ich mir sicher. Wir werden es an der Auswahl der mitzubringenden Sachen sehen. Und so, wie Viridicus uns dauernd lobt, bekommen wir den gefährlichsten Job.“
Gut, dann hatten wir uns entschieden. Wir schipperten Richtung Sonnenaufgang. Lotosbäume zogen an uns vorbei und kein Windhauch trübte die Idylle. Gegen Mittag wurde am Horizont ein kleiner grüner Hügel sichtbar. Beim Näherkommen entpuppte sich der Hügel als etwas größere bewaldete Insel. Weiße breite Sandstrände säumten das Ufer. Dahinter begann Dschungel. In der Mitte schien es eine Art Bauwerk geben. Leider hatte ich keine Flagge dabei, um dieses unbekannte Eiland im Namen Bahamuts in Besitz zu nehmen.
Als wir den Strand erreichten, fuhren wir Behemoth aufs Trockene. Dann kletterten wir auf den Sand herunter. Vielfältiges Vogelgezwitscher und Insektensummen umfing uns. An der Flutlinie hatten sich Ballen von getrocknetem Milchschaum gebildet. In ein paar hundert Meter Entfernung sahen wir eine Reihe von humanoiden Figuren stehen. Beim Näherkommen entpuppten sie sich als Menschen, die in einer Art Beschwörerpose dort standen. Sie waren dunkelhäutig, kahlgeschoren und in ockergelbe Gewänder gehüllt. Sie waren teilweise mit getrocknetem Milchschaum bedeckt. Alle hatte die Hände relativ gleich erhoben, aber von der Seite sah es so aus, als wäre es eine Art Wellenbewegung.
Dann, nach längerem Betrachten, bemerkte ich, dass sie nicht versteinert oder gelähmt waren. Sie bewegten sich, aber unendlich langsam. Ich schätzte, dass sie wohl in etwa drei Tagen fertig waren. Magisch waren sie nicht, also wandten wir unsere Aufmerksamkeit dem Dschungel zu. Das nur schwach zu erahnende Gebäude war unser nächstes Ziel.

Wir marschierten in den Dschungel. Vögel zwitscherten und Insekten brummten geschäftig herum. Dann hörten wir einen monotonen Gesang näherkommen. Nach einiger Zeit tauchte rechts von uns eine Prozession von Mönchen auf. Irgendwann würde sich unser Weg treffen, was wir nicht wollten, also gingen wir langsamer. Sie sangen etwas von ‚Surabi‘ und das könnte vielleicht die komische Kuhgestalt sein, die wir suchten.
Während des Weges nagten einige Zweifel an Xeras letzter Vision in mir. Der Befehl, im Unterreich aufzuräumen, kam mir komisch vor. So hasserfüllt? Was hatte der Platindrache mit Lolth zu tun? Hatte die seine Lieblingsjuwelen geklaut? Das war eher unwahrscheinlich. Wir hatten ja einen anderen Bahamut-Kleriker getroffen, dessen Glaubensinhalt aus etwas anderem als Verbrennen bestand. War das ein Hinweis? Ich war im Zweifel und Xera natürlich nicht. Hatte es silberne Schuppen und sagte etwas, dann war das Gesetz. Sie war die perfekte Mörderin.
Sie hatte jetzt außerdem diese komischen verfärbten Schuppen auf der Brust. Rotgolden. Das störte mich auch. Die mussten eigentlich richtig golden sein, denn das, was ich da sah, waren Rotdrachenschuppen, wenn ich mich nicht täuschte. Was ging hier vor?
Zum Verständnis, meine Freunde: Dunkelelfen sind absolut paranoid. Wenn irgendetwas nicht in das Schema passt, dann ist es falsch und gefährlich. Erst einmal die Intrige und den Verrat dahinter suchen, denn irgendetwas ist immer faul.

Kühe lagen auf dem Weg herum, glotzten uns aus braunen Augen seelenvoll an und kauten wieder. Jemand hatte die Kühe mit bunten Tüchern und mit Blumengirlanden behängt. So weit, so harmlos.
Wir ließen die Prozession vor und erreichten endlich den Tempel. Das Gebäude war von einer Mauer umgeben. Auf den Ecktürmen saß jeweils ein sehr entspannter Mönch und meditierte über nicht vorhandene Gefahren oder Surabi. Es gab allerdings etwas Ungewöhnliches an ihnen: Jeder von Ihnen hatte noch vier Spektralarme, die ebenfalls in verschiedenen Gebetsposen angeordnet waren.
Das mit dem Frieden würde sich gleich ändern, da war ich mir sicher, denn wir waren am Ziel angekommen. Die Hölle betrat die Bühne. Asketische Fanatiker waren normalerweise nicht erfreut, Andersgläubige kennen zu lernen.
Wir gingen auf das Tor zu und dann hindurch. Es gab eine Art Innenhof, der um ein stattliches Gebäude in der Mitte herumlief. Das Gebäude hatte eine Tür direkt gegenüber dem Eingang. Dort stand ein Mönch und meditierte. Dem fiel dann endlich auf, dass wir anders waren und er wurde aufmerksam. Er wirkte irritiert, als ihm klar wurde, dass der Schwarze Mann vor ihm stand, in Begleitung eines blauen Drachen. Er räusperte sich. Sprechwerkzeuge, die offenbar lange keinen Ton mehr von sich gegeben hatten, begannen zu arbeiten.
„Seid gegrüßt, blaue Echsenfrau und schwarzer Mann? Was führt euch zu dieser heiligen Stätte?“
„Wir sind auf der Suche nach Erkenntnis,“ sagte Xera, „und wir fanden auf einer Lotosinsel eine Kuhgöttin in einem Teich. Sie gab uns Visionen. So hofften wir, dieser Göttin nahe zu kommen und machten uns auf die Suche. Da hier nicht viel los ist in diesem Meer, sind wir jetzt hier auf dieser Insel.“
„Wenn ihr Erkenntnis sucht, wie seid ihr dann hierher gekommen? Dieser Ort steht nur Personen offen, die Erkenntnis gefunden und sie gemeistert haben.“
„Das ist etwas komplizierter,“ seufzte Xera.
„Das ist es tatsächlich,“ mischte ich mich ein, „denn wir beide dienen einem celestischen Gott und unser Patron war der Meinung, dass wir hier in dieser celestischen Welt Urlaub machen und uns über unser Vorgehen in der mundanen Welt klar werden sollen.“
„Das Konzept von ‚Urlaub‘ müsstet ihr mir erklären.“ Klare braune Augen sahen uns fragend an.
„Urlaub ist: Etwas anderes tun als das, was man normalerweise tut“, erklärte ich.
„Warum sollte man so etwas tun?“ Das Konzept war ihm offenbar neu. „Gehst du nicht in deiner normalen Betätigung vollständig auf? Erfüllt es dich nicht mit Freude und Stolz, dieser Tätigkeit nachzugehen?“
„Doch schon,“ erwiderte ich, „aber ab und an mal was anderes zu machen klärt den Geist. Mein Tätigkeit ist eher handwerklicher Natur.“
„Ah, niedere Kaste, ich verstehe.“
„Bahamut ist mein Gott, dem ich diene“, sagte Xera. Sie hätte es besser wissen müssen.
„Ah, eine Götzendienerin?“
Xera holte tief Luft und ich unterbrach sie mit dem Einwand, dass diese theologischen Diskussionen meistens zu nichts führen würden. Bahamut wäre schließlich genauso ein celestischer Gott wie Surabi.
Auweia, ich und meine große Klappe. Das Vogelgezwitscher im Dschungel verstummte und die Hummeln suchten das Weite. Der Mönch erstarrte erst und ging dann hoch wie ein Strohlager nach einem Feuerball. Er ging in Kampfposition und seine sechs Arme richteten sich auf mich aus.
„Wie war das gerade?“
„Hm, ich glaube, vielleicht fehlt es uns am rechten Grad der Erkenntnis?“ Da war nichts mehr zu retten, merkte ich.
„Ich denke, die einzige Erkenntnis, die einem niederkastigen Suthra wie dir würdig ist, ist die der Prügel.“
Damit griff er an. Nun wollte ich ja hier kein Blutbad anrichten und versuchte, seinen Attacken auszuweichen.
„Aber das muss doch nicht gleich in Gewalt ausarten! Was ist denn das für eine Religion?“
Xera mischte sich ein. „Wir kommen, um zu erkennen, nicht um zu kämpfen.“
Das hielt ihn nicht auf und so würde er gleich mein niederkastiges Handwerk kennen lernen. Was für ein geistig eingeschränkter Idiot. Ich wich zurück und versuchte, die nächste Mauer zu erreichen. Leider war der Kerl ziemlich flott. Er stand fast umgehend wieder vor mir und versuchte mich zu treffen, was ihm auch gelang. Das war schmerzhaft und fast hätte er mich gelähmt.
Ich schwebte nach oben und versuchte, Land, beziehungsweise das Dach, zu gewinnen. Xera versuchte, ihn mit einem Zauberspruch aus dem Verkehr zu ziehen, was leider misslang.
Dann sah ich mit Entsetzen, was ein asketischer Mönch so alles kann. Er rannte einfach die Mauer hoch und war kurz darauf wieder bei mir. Dann klatschte er mir eine und das Schweben löste sich in Wohlgefallen auf. Die nächsten Schläge neutralisierte ich mit meinem Schildzauber. Dann brüllte ich los: „Zu Hilfe! Ich werde angegriffen! Der Mönch ist besessen oder wahnsinnig geworden!“
Auf den beiden nächstgelegen Türmen drang der Schrei durch die Meditation und zwei Mönche sahen auf. Ein Mitmönch attackierte einen Unbewaffneten? Das war wohl nicht das richtige Verhalten für diesen Tempel und so standen sie auf und eilten herbei.
Der Mönch hatte das wohl auch gehört und die Worte waren durch seine Wut gedrungen. Er machte einen Schritt rückwärts. Die beiden anderen, die jetzt heran gekommen waren, redeten in ihrer unverständlichen Sprache auf ihn ein.
Dann verbeugt er sich tief und sagt: „Es tut mir leid, dass mich mein religiöser Eifer übermannt hat. Ich bin bekannt als leicht erregbarer Disputierer. Eure Worte haben einen wunden Punkt getroffen. Darf ich euch bitten, einen solchen Frevel nicht noch einmal in diesen heiligen Hallen auszusprechen? Aber ich bin mit meinen Taten zu weit gegangen.“
„Das würde ich auch so sehen“, sagte ich, noch immer ziemlich wütend auf diesen Idioten. „Ich akzeptiere eure Entschuldigung, aber eure Kontemplation bedarf noch ein wenig der Übung.“
Entsetzt holte Xera tief Luft und in den Augen des Eiferers glomm schon wieder die Flamme der Wut auf. Womit mein Satz auch schon bewiesen wäre, oder?
Ich kletterte die Wand herunter und versuchte, keine Hörner oder Kuhnasen dabei abzubrechen, weil dann wahrscheinlich wieder der Hulk tobt.
„Warum wart ihr gleich hier?“
Xera erklärte ihm noch einmal, dass auch wir auf der Suche nach Erkenntnis seien und uns natürlich der Tempel interessieren würde. Er sagte uns, dass er ihn uns gerne zeigen würde, wir aber als Uneingeweihte natürlich nicht in das Innerste dürften.
Da lag dann wohl die Kuh, dacht ich mir. Na gut, erst einmal das Gelände sondieren, um sich dann einen vernünftigen Schlachtplan zu überlegen.
„Sind hier schon einmal andere Reisende aus anderen Welten aufgetaucht?“, fragte Xera.
„Nein, eigentlich nicht. Natürlich sind mir Monster und Geistwesen aus Sagen und Legenden bekannt, aber ich bin ihnen noch nie begegnet. Aber das ist eine interessantes Gedankenspiel: Vielleicht seid ihr geschickt worden, um mich zu prüfen.“
„Falls das so ist, hast du es grandios vergeigt“, murmelte ich. „Zurück in die Padawanschule du musst.“
Dann sagte ich laut: „Monster ist auch der falsche Begriff. Mein Name ist Ghaundar und ich bin ein Schwarzelf, und dies ist Xera, eine blaue Drachenblütige und meine Schwertschwester.“
„Erfreut.“ Er wirkt nicht so, dreht sich um, um der peinlichen Situation zu entfliehen und betrat das zentrale Gebäude.
Über dem Eingang war das Relief einer großen Kuh zu sehen. Mit seelenvollem mütterlichem Blick schaut sie auf uns herab. Um sie herum waren andere, kleine Figuren gemeißelt, die knieten, sich um Kühe kümmerten und andächtig schauten.
„Dies ist Sawargar madukar, die mütterliche Kuh, aus der man alle Wünsche herausmelken kann.“
Gut, genau dafür sind wir hier.
„Wir sind ein recht kleiner Orden, aber die Tatsache, dass uns diese himmlische Welt von ihr eröffnet wurde zeigt, dass wir auf dem richtigen Pfad wandeln. Folgt mir bitte in das Innere.“
Drinnen war es deutlich kühler. Um ein zentrales Atrium lief ein Umgang. Der Treppenabgang in das Atrium hinunter war mit Kordeln verhangen, ebenfalls die Durchbrüche, die nach unten Durchblick zu gewährten. Die Kordeln waren magisch. Ein Alarmzauber?
Von unten schien ein helles weißes Licht herauf. In den Ecken des Umgangs lag jeweils eine Kuh auf einem Podest, die in das Atrium schaute. Sie lag seitlich und zeigte ihren prallen Euter.
Ich erzählte ihm von unserer Vision und war schon auf das Schlimmste gefasst, aber er schien wirklich darüber nachzudenken. Er schien zu wissen, wovon wir redeten. Allerdings gehörten wir nicht zu den erleuchteten Gläubigen, sondern eher in die Kategorie ‚Dämonen‘, aber wer eine Vision gehabt hat, gehörte mindestens zu den Akolythen. Sein moralisches Dilemma wurde in seinen verzweifelten Gesichtszügen sichtbar.
Er schlug uns vor, uns doch dem Orden anzuschließen. Das würde zwar einige Jahrzehnte dauern, bis wir den nötigen Rang erreicht hätten, um Surabi persönlich kennenzulernen, aber das wäre ja nur ein kleiner Preis. Er bat mich, mich zu rasieren und die Kleidung wegzuwerfen und er würde uns unsere Kutten geben.
Nun hatten wir keine Jahrzehnte, um da runterzukommen. Wir mussten uns etwas anderes einfallen lassen. Wir bedankten uns herzlich für diese Informationen und würden uns, nachdem wir uns besprochen hatten, gerne wieder bei ihm melden. Wir hätten Verpflichtungen, die wir erst auflösen müssten. Er nickte verständnisvoll und meinte, dass es keinen Zutritt zu Surabi gäbe, wenn man nicht würdig sei.

Wir gingen zurück zu unserer Höllenmaschine und berieten uns.
„Was willst du jetzt genau tun?“, fragte Xera.
„Die Kuh melken. Variante 1: Wir könnten mit Behemoth die Mauern einreißen und vor das Gebäude fahren. Dann springen wir raus, rennen durch den Gang und springen das Treppenhaus hinunter.“
„Das widerstrebt mir irgendwie.“
„Mir auch. Mama Muh wäre wahrscheinlich nicht glücklich, wenn ihr zwei Dämonen auf den Kopf springen, nachdem sie den Tempel ruiniert haben. Variante zwei: Wir schleichen hinein. Das klappt aber nicht mit dir.“
„Das stimmt. Fällt also aus.“
„Variante 3: Man könnte sich als Mönch verkleiden.“
Xera begann, schallend zu lachen. „Klar, ich passe auch in eine von diesen Roben. Außerdem sind das alle Menschen.“
„Hm. Ohne Streit und Zank fällt mir nichts ein. Es gab kleine Fenster. Da passe ich zwar durch, aber du nicht. Dann habe ich was von der Heiligen Milch, aber du nicht. Ich muss sagen, in mir schwelt eine recht unheilige Habgier nach dieser Milch, aber mir fällt gerade nichts Sinnvolles ein, wo du dabei sein kannst.“
Ich grübelte und grübelte und grübelte.
Klick. Auf einmal kam mir eine Idee. Wir brauchen eine Ablenkung und dann mussten wir schnell sein. Behemoth! Die perfekte Ablenkung. Er könnte an die Mauern heranfahren, dort Rabatz machen und die Mönche ablenken. Wir müssten dann flott sein und das ausnutzen. Ich teilte Xera diese geniale Inspiration mit. Sie dachte darüber nach.
„Wenn Behemoth startet gehen wir so nach zehn Minuten los?“
„Nein, wenn er startet, müssen wir bereits drin sein. Wir müssen sofort in das Gebäude eindringen können, wenn der Wächter auf den Krach vor dem Tor reagiert. Ansonsten müssen wir ihn außer Gefecht setzen, und das sehr schnell.“
„Gut, dann lerne ich die entsprechenden Sprüche, wie ‚Befehl‘.“
„Behemoth soll danach auf das offene Meer hinaus flüchten, damit sie ihn nicht zerstören. Vielleicht so fünf Minuten entfernt, damit er uns wieder einsammeln kann. Zur Not müssen wir hinschwimmen.“
„Das kann nur in die Hose gehen“, seufzte sie. „Der Plan hat so viele Löcher wie ein Schweizer Käse. Wenn das schiefgeht, hauen wir ab und kommen nie wieder. Wir haben genau einen Versuch.“

Behemoth bekam seine Erklärungen und machte sich im Dunkel der Nacht auf den Weg. Er sollte an einem Tor Rabatz machen und wir würden uns dann durch ein anderes Tor einschleichen.
Wir standen in den Schatten und warteten. Die Anweisung, keine Mönche zu überfahren, nahm er wörtlich. Von Kühen hatten wir nichts gesagt und so hörten wir erst das erschreckte und dann das ersterbende Muhen eines unglücklichen Opfers. Bäumen fielen krachend zu Boden und Schlamm spritzte auf die Reliefs. Alle meditierenden Mönche waren schlagartig wach und wir hörten laute Rufe.
Wir machten uns auf den Weg und versuchten, so heimlich wie möglich zu sein und erreichten ohne weitere Schwierigkeiten das Tor. Wir sahen zwei weitere Mönche zum anderen Tor rennen. Wir hasteten über den Hof und versuchten, das Innere zu erreichen. Natürlich fiel Xera auf und weckte die Aufmerksamkeit eines Wächters. Der machte sich auf den Weg, aber wir waren bereits im Inneren angelangt. Ich setze eine Dunkelheit in den Eingang, den wir genommen hatten, um seine Neugier abzulenken. Und tatsächlich, er machte kehrt und ging die Dunkelheit erkunden.
Wir passierten die Schnüre, die den Zugang versperrten. Die Treppe wand sich endlos nach unten. Da wir schnell sein mussten, benutzten wir meinen ‚Federfall‘. Unten ging ein Gang nach links und warmes, milchiges Licht schien daraus hervor. Er führte in eine geräumige Höhe. Girlanden und Perlvorhänge zierten den Zugang. Leider waren sie magisch. Ich löste die Verzauberung auf und hoffte das Beste.
Dort lag eine weiße riesige Kuh auf einem Seidenkissen auf einem Podest und reckte ihren prallen Euter zur Decke. Wir waren uns nicht ganz sicher, ob wir hier eine belebte Statue oder eine echte Kuh vor uns hatten. Jedenfalls bewegten sich ihre großen braunen Augen und sah uns an.
An dem Podest war eine Ablaufrinne angebracht, die zu einem Trinkgefäß führte. Das Ganze war umgeben mit hunderten von Votivgaben, hauptsächlich Essen, Getränke und Blumen. Hunderte Kerzen brannten und spendeten Licht. In einigen Feuerschalen verbrannte langsam Butter und erfüllte den Raum mit ihrem Duft.
Und jetzt? Melken war wohl nicht angesagt und um am Euter zu saugen, würde man klettern müssen. Das konnte es nicht sein. Mir kam eine Idee. Vielleicht kam die Milch freiwillig, wenn man eine passende Gabe darbot? Ich versuchte es mit etwas Lachssushi. Ein kaum wahrnehmbares Muhen ertönte und ein Tropfen Milch fiel aus dem Euter.
Gut: Meine Hypothese hatte sich bestätigt.
Schlecht: Wir brauchten das passende Geschenk.
Das Gefäß fasste etwa einen Liter und Xera mutmaßte, dass man wahrscheinlich den ganzen Pott benötigen würde. Daher brauchten wir zwei Geschenke.
Xera opferte eine Flasche Sternenlicht. Sie überkam ein leichtes Gefühl von Wärme und fühlte sich angenommen. Ein leises Muhen war zu hören und ein Rinnsal aus Milch floss aus ihrem Euter. Aber das war noch nicht das richtige Geschenk, denn es fehlte noch einiges an Milch.
Dann versuchte ich es mit der magischen Lotusblüte. Das Muhen war im gesamten Tempel und wahrscheinlich auch noch auf der restlichen Insel zu hören. Der ganze Tempel vibrierte. Ich hatte wohl etwas übertrieben.
Die Milch floss in Strömen und das Gefäß füllte sich rasch. Bevor es überlaufen konnte, versiegte der Strom. Ich griff mir das Ding und begann, die warme Milch zu schlucken, und bemühte mich, dass mir dabei nicht schlecht wurde. Endlich hatte ich das Gefäß leer und ich fühlte, wie sich in mir eine Woge aufzubauen begann. Außerdem gluckste ich beim Gehen.
Xera hörte hastige Schritte näherkommen, während ich trank. Im Eingang wurde einer der Mönche sichtbar. Er wirkte nicht gut gelaunt und zwölf (!) zusätzliche Arme bildeten einen Halo um ihn herum. Xera legte ihn mit einem ‚Befehl‘ schlafen. Auf der Treppe war weiteres Fußgetrappel zu hören.
Ich musste die Meute irgendwie aufhalten, denn Xera hatte ihren Wunsch noch nicht. Einige potenzielle Szenarien huschten durch meinen Kopf. An einem blieb ich länger hängen.
„Ist das dein inniger Wunsch?“ ertönte plötzlich eine Stimme in meinem Kopf.
Wenn ich ‚Ja‘ sage, bin ich meinen Wunsch los. Wenn ich ‚Nein‘ sage, hat Xera keinen und wir müssen uns hier raus prügeln mit ungewissem Ausgang. Woran hatte ich gleich gedacht? Ach ja, an das Dornröschen-Szenario.
Und ich sagte mit fester Stimme: „Ja.“
Der Mönch, der sich gerade wieder aufrichten wollten, klappte erneut zusammen und begann zu schnarchen. Stille senkte sich über den Gang und das Treppenhaus. Kein Laut war mehr zu hören. Xera sah mich erstaunt an.
„Was hast du gemacht? Und wie?“
„Dir deinen Wunsch gesichert. Und jetzt mach hin damit, bevor ich das hier bereue.“
„Danke.“
Gut, das Wort war es wert. Fast. Ein Wunsch! Ich! Oh Mann, in was verwandele ich mich hier? Ich war so ein netter amoralischer und mörderischer Drow gewesen und jetzt?
Wir legten jetzt den Ring mit dem milchigen Diamanten ab. Wieder donnerte der Ruf der Kuh durch den Tempel, aber alles schlief erfreulicherweise weiter. Xera trank ihre Ration und dann rannten wir nach oben, kletterten dabei vorsichtig über schnarchende Gestalten und verließen den Tempel. Behemoth war nicht verfolgt worden und somit schnell zu Stelle. Wir kletterten an Bord und stachen in See.
Xeras Wunsch war einfach: Sie wollte noch besser gegen das Böse kämpfen können. Dann schauen wir mal, was da in Zukunft geschieht.

Die nächsten zwei Tage taten wir nichts als abhängen, angeln, essen und dösen. Ein Fang war noch erwähnenswert, nämlich ein Schneckenhorn, glänzend wie Perlmutt. Wir probierten es aus und nachdem wir hinein geblasen hatten, ertönte ein tiefer hallender Ton. Wir fühlten uns gestärkt und kampfesbereit.
Xera fing einen Ball aus Stacheln. Die würden in meine Armbrust passen, hatte ich den Eindruck und wirkten besser als meine normalen Bolzen. Ich konnte sechs davon ernten.
Xera angelte eine Gebetskette, die magisch war. Später fanden wir heraus, dass man damit einmal die Schwelle des Todes vermeiden konnte.

Dann hatten wir die Nase voll und machten uns auf den Rückweg. Das Milchlachssushi hing mir langsam zum Hals raus und ich hatte Lust auf ein leckeres Steak von wem oder was auch immer. Dazu kam, dass Saira in der Zwischenzeit weitere Änderungen vorgenommen haben könnte und da sollte man frühzeitig drauf reagieren können.
Der Behemoth wurde angeworfen und es wurde dunkel. Das ist schon Ironie, sagte Xera, wir Celestier machen uns aus Celestia auf den Weg nach Hause in die Hölle.
Unsere gewohnte Parklandschaft umfing uns nach einiger Zeit. Das Haupthaus war in Baugerüste und in Planen eingehüllt. Die Bäume sahen nicht mehr so künstlich aus, sondern natürlich, dafür wuchsen Blüten und Früchte an ihnen, die selbst für mein ungeübtes Auge da nicht hingehörten. Der Umbruch ging also weiter.
Erst einmal fuhren wir den Wagen in die Garage und ich würde meinen Fehler vom letzten Mal nicht wiederholen. Lilith war die Nummer eins auf der Besuchsliste. Xera ging zu Turkey, um den neusten Klatsch und Tratsch abzuholen.
Ich stieg die Treppen empor, aber da war keine Lilith weit und breit. Die Anordnung der Zimmer im Flur hatte sich auch verändert und ihre und Sairas Räumlichkeiten waren nicht mehr da oder woanders. Nur die Tür von unserem Patron war noch da. Ich klopfte an und durfte umgehend eintreten.
Viridicus war alleine, stand vor seinem Panoramafenster und blickte nach draußen. Seine vier Arme waren auf dem Rücken verschränkt. Er begrüßte mich herzlich und fragte, wie unser Urlaub verlaufen wäre. Ich erzählte ihm kurz von unserer Reise und dass das eine interessante Ebene gewesen wäre. Er gestand, dass er eine der vier heiligen Kuh-Statuen dort ‚gefunden‘ und in seinem Besitz hätte und dachte, dass es uns dort ebenfalls gefallen würde. Dann schoss er eine direkte Frage ab.
„Ihr seid früher zurückgekommen und du wirkst sehr zielstrebig, mein guter Ghaundar.“
„Das stimmt, wir hatten zwei Visionen, die sich gegenseitig bedingen.“
„Es steht ein großer Wandel in der nächsten Zeit an und das nicht nur in meiner Ebene. Ich weiß nicht, ob du davon schon etwas mitbekommen hast. Dinge fangen an, sich zu bewegen und ich weiß noch nicht, wer dahintersteckt und was es bewirken soll. So lange warte ich ab und halte meine Agenten zurück.“
„Könnte es Lolth sein?“
„Vielleicht ... jeder Dämonenprinz beziehungsweise jede Dämonenprinzessin drehen am Rad der Veränderung.“
Seine war da keine Ausnahme und die drehte kräftig.
„Wie dem auch sei, die Veränderungen hier sind erst einmal ästhetischer Natur. Es wird Zeit für eine Veränderung. Ich habe ein geteiltes Verhältnis zu Stagnation. Einerseits finde ich in solchen Leuten meine perfekte Kundschaft, andererseits finde ich, auf persönlicher Ebene muss man sich verändern und weiterentwickeln.“
„Saira und Lilith machen auch ein wenig Urlaub?“ Ich erlaubte mir die Frage.
„Ja, sie sind nicht da. Sie sind in ihrem Herrenhaus und wollen ein paar Dinge organisieren. Treibt euch noch etwas um? Es wird hier noch etwas dauern.“
„Ja, es treibt mich tatsächlich etwas um, nämlich Rache. Benötigt ihr noch irgendetwas aus den Tiefen Reichen, vorzugsweise aus Menzoberranzan?“
„Rache? Dann passt du ja gut zu Xera.“ Er überlegte kurz. „Aber danke der Nachfrage, erst einmal nicht.“
„Nun, hättet ihr etwas gegen einen längeren Ausflug? Wenn das hier noch dauert, wollen wir nicht müßig stagnieren wie eure anderen Agenten. Wann würdet ihr uns denn wieder benötigen? Wir könnten unterwegs zum Beispiel Informationen besorgen.“
„Der Behemoth bleibt aber hier, verstanden? Ihr könnt eine der Kerzen verwenden.“
Ich nickte. Schade.
„Aber da fällt mir doch etwas ein. Ich habe da einen alten Freund. Er ist Angehöriger eines, nun ja, Handelshauses, das alles und jeden besorgen kann. Es nennt sich ‚Der Drachenhort‘. Mein Freund hat den Spitznamen ‚Der Fuchs‘, weil er, für einen Drow ungewöhnlich, von Natur aus flammendrote Haare hat.“
Für einen Drow noch ungewöhnlicher: Er nennt sich nach einem Oberflächentier?
„Nehmt euch aber nicht zu lange Zeit. Zwei bis drei Wochen, dann will ich euch hier wieder sehen, verstanden?“
„Ja Herr. Wir werden, wie immer, rechtzeitig zur Stelle sein, Herr. Und vielen Dank, Eure Gönnerschaft.“
Er nickte gnädig und ich war entlassen.

Turkey begrüßte Xera mit einem Lächeln. Auf die Frage, was gerade abgehe, zuckte er nur mit den Schultern.
„Etwas geschieht, das ist klar. Aber was genau, weiß hier keiner. Viridicus macht ein großes Geheimnis daraus. Ich bin mir nicht sicher, ob mir das gefällt.“
„Tja, der Einfluss von Saira ist unverkennbar.“
„Oh ja, oh ja, wer weiß, wie es nach eurer nächsten Ankunft aussehen wird.“
„Wir haben ja noch ein paar Tage Urlaub, vielleicht erfahren wir was.“
„Das wäre schön. Hier ist auch reges Treiben. Ich glaube, es gibt so gut wie keine Expeditionen mehr. Die Leute sitzen den ganzen Tag bei mir und Fressen und Saufen.“
Er war wohl immer noch leicht erregt, ansonsten würde er nicht solche Ausdrücke verwenden.

Ich setzte Xera kurz ins Bild und wir begannen, beim Abendessen über die Tarnung und was wir eigentlich wollten, zu diskutieren. Ich erklärte Xera ein wenig, wie die Stadt so war und wie die Gesellschaft funktionierte. Sie würde als meine Leibwächterin fungieren.
Oberflächlich betrachtet, ging es um meine Schwester und das System. Aber tief in meinem Inneren wollte ich eigentlich nur eins: Die Spinnengöttin muss weg. Wir, die Drow, müssen wieder zu dem Volk werden, welches wir einst waren: Illythiiri.
Kein Plan reicht mit einiger Sicherheit über das erste Zusammentreffen mit den Spielern hinaus.
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Re: Tales from the Table (D&D 5E): Death men don't wear plate

Beitrag von Mercen »

Altdrachenklamm

Xeras Schuppenverfärbung hatte sich in der Zwischenzeit ausgebreitet. Jetzt sah sie aus wie ein paar Schwingen, was immer das auch bedeuten mag. Wirklich schön, wenn man einen Wunsch hatte. Eigentlich gönnte ich es ihr, aber ein kleiner Stich von Neid blieb. Aber gut, wenn sie noch besser kämpfen konnte sollte es mir recht sein. An ihr kam wohl nicht mehr viel vorbei, vielleicht Körperteile oder der eine oder andere Zauber, aber bestimmt nichts Lebendes.
Wir beschlossen, bei der Tarnung des niederen Adeligen zu bleiben. Ich hatte das Benehmen und die Umgangsformen eines solchen, da würde alles andere auffallen. Ich beschloss, ab sofort statt dem Haus Vandree aus Menzoberranzan dem Haus Zaurwirr von Ched Nasad zuzugehören. Die machten was ähnliches wie Vandree und so konnte ich mich nicht verplappern. Die Leibwächterin war Usus und das ich eine Gute hatte, war auch normal. Ich schärfte Xera noch einmal ein, nicht einzugreifen, wenn sie etwas Seltsames sah, außer, ich wäre der gleichen Meinung. Die Regeln in den Tiefen Reichen sind anders als in der Lichten Welt. Beherzige sie und du hast ein recht angenehmes Leben. Missachte sie und du bist tot.
Wir hatten alles beieinander und so konnten wir starten. Ich kannte einige Höhlen, in denen wir landen konnten. Patmos musste als Lasttier herhalten und ich hatte auch bereits die passenden Riemen besorgt. Xera durfte ihm dann erklären, was von ihm erwartet wurde. Auf das Gesicht war ich gespannt.
Wir verabschiedeten uns von Turkey und Klein Elena und machten uns auf den Weg. Klein Elena schien die jungen Teufelinnen in der Schreibstube kennengelernt zu haben, denn sie hatte einen neuen asymmetrischen Haarschnitt und dick Eyeliner aufgetragen.
Nach kurzer Dunkelheit mischte sich eine neuer Geruch in das Räucherwerk der Kerze, nämlich der Duft von kalter, feuchter und pilziger Höhle. Es war dunkel. Die Höhle war groß und wir konnten auf Anhieb keine Wände und Decke erkennen. Nach ein paar Augenblicken hatte ich mich an die Umgebung gewöhnt. Ganz leicht konnte ich in der Entfernung Leuchtmoose und Glühpilze erkennen. Wir waren auch alleine. Das war gut, denn dann konnten wir erst einmal Patmos holen.
Xera wählte eine agamenartige Form. Er war begeistert, Xera wiederzusehen, um in die Schlacht zu reiten. Seine Laune sank drastisch, als er erfuhr, dass er als Lastesel herhalten musste.
Ich suchte dieweil die Höhle ab, um herauszufinden, wo wir hier eigentlich waren. Nach einiger Zeit sah ich eine Ruine. Das sagte mir zwar nichts, aber gut. Dann würden wir dort weiter suchen.
Die Ruine bestand aus einer Art Vorbau und einem größeren Teil nach hinten. Ein Dach gab es nicht mehr und das Gemäuer war keine Dunkelelfenarbeit. Die war wohl aus früheren Zeiten hier zurückgeblieben. Verwitterte Reliefs waren in der Wand zu erkennen. Es sah aquatisch aus. Der Eingang war nur etwas 1,60 m groß. Die Bauherren war wohl kleiner. Im Inneren stand eine Statue. Die war aber so verwittert, dann man wenig erkennen konnte. Ein riesiges fischiges Maul mit darüber liegenden Kugelaugen saß auf einem kleinen Torso. Es sah ein wenig wie KuoToa aus. Schutthaufen bedeckten den Boden.
Xera suchte mal mit ihrem Göttlichen Gespür die Umgebung ab. Es gab hier Untote und nicht mal wenige. Dazu fiel mir nur eins ein: Wo immer wir hingingen, gab es Untote. Oder Dämonen. Oder zumindest Dämonenanbeter. Warum eigentlich? Ein paar normale Wegelagerer wäre doch auch mal schön.
Am hinteren Ende des Vorraums war eine Türe und die war geschlossen. Das Öffnen der Türe war geräuschlastig. Damit waren alle potenziellen Gegner gewarnt. Die Tür schwang von mir weg auf und sie war schnell. Ein lautes Aufheulen zeigte an, dass sie jemanden dahinter getroffen hatte.
Es gab aber noch mehr Gegner, denn untot waren nämlich nicht alle hier. Tentakellastige Wesen gab es auch. Die waren recht dünn, humanoid, hatten ein böses kleines Gesicht und waren irgendwie gollumartig. Der Menschenarm, an dem er nagte, wurde ihm aus den Hand geschlagen. Ich ließ Xera vorbei.
Der hintere Gegner wurde von mir mit einem Hexenpfeil beharkt. Es war ein Drow. Er war schon länger tot. Er sah etwas algig aus und ein- bis zwei Leuchtpilze wuchsen aus seinen Ohren. Er wandte mir seine leeren Augenhöhlen zu und zappelte ein wenig herum, als die elektrische Energie in ihn fuhr. Dann zog er seine Armbrust und versuchte mit wackelnden Händen, Xera abzuschießen, was ihm leider auch gelang. Ein winziger Kratzer war aber alles, was er anrichtete.
Xera hackte ihr Schwert in den dünnen Humanoidenfresser. Der fiepte auf und fiel nach dem zweiten Schlag. Tentakel waren es nicht, bemerkte ich, nur sehr dünne lange Arme.
Durch die löchrige Mauer griff von außen ein zweites dieser Wesen, fasste Xera und presste sie gegen die Mauer. Ich spaltete den Hexenpfeil in zwei und beharkte auch Xeras Gegner.
Die rückwärtige Tür schwang auf und drei weitere Drow-Leichen torkelten in den Gang, mit Rapieren bewaffnet. Sie nahmen sich Xera vor und einer traf sie tatsächlich.
Xera spannte ihre Muskeln an und zog das Wesen durch die Löcher ins Innere. Das kleine hässliche Gesicht verzerrte sich vor Entsetzen. Dann zerriss es in drei Teile, denn die Mauer hielt. Er blieb draußen, die Arme waren drinnen. Dann starb es lautstark fiepend.
Es begann orange feurig zu leuchten. Aus Xeras Schultern begannen, brennende Drachenschwingen zu wachsen. Das Schwert begann ebenfalls zu brennen. Die Untote wichen, das Flackern in den Augen widerspiegelnd, leicht zurück. Xera brannte vor Wut?
Mein zweiter Gegner fiel auch endlich um. Aber Xera hatte immer noch drei Gegner. Zusätzlich machten sich aus dem nächsten Raum zwei weitere Figuren auf den Weg. Es schienen Drow-Barbaren zu sein, eine beliebte Art von Leibwächter. Als Untote waren sie aber nicht mehr der Brüller und bewegten sich, als wären sie im Wasser.
Ich warf ein Feenfeuer auf die Gruppe. Im hinteren Raum stand jemand, der wie ein Zauberwirker aussah. Der war leider der Einzige, der anfing zu leuchten. Xera hackte mit allem, was sie hatte, auf den ersten Barbaren ein. Es brutzelte zufriedenstellend und dann krachte auch noch ihr Blitz in die Gestalt, die sich weiter bewegte. Robust waren sie ja, dass musste man ihnen lassen.
Der Zauberer versuchte mich unterdessen, in Spinnennetze einzuwickeln, was ihm gründlich misslang. Xera rief nach Patmos, der sich laut grunzend auf den Weg machte.
Ich schwang mich auf die Mauer und tänzelte elegant die Mauer entlang. Dann rutschte ich nicht besonders elegant auf einem Moospolster aus und plumpste auf der anderen Seite auf den Boden. Erfreulicherweise gab es Spalten und so ballerte ich ihm mit meiner Armbrust einen Bolzen in den Leib. Dann kletterte ich die Mauer wieder rauf.
Patmos war zu dick für die Türdurchgänge, also versuchte er, die Mauer hochzuklettern. Dafür war die Mauer nicht mehr robust genug und brach in sich zusammen. Steinbrocken flogen durch die Luft und er fiel motiviert über einen der Rapierschwinger her und trampelte ihn zu Boden. Xera, die in der Zwischenzeit ihren Gegner erledigt hatte, zerschlug den zweiten Barbaren mit zwei schnellen Schlägen.
Mein zweiter Schuss saß prima. Das Feuer spiegelte sich auf meinen blendend weißen Zähnen, als ich ihm lächelnd mitten in sein vermodertes Herz schoss. Er rächte sich mit einem Blitzschlag, dem ich gekonnt auswich. Mit einem gezielten Salto sprang ich in den Raum. Der Blitz streifte mich zwar, war nicht besonders unangenehm. Ich landete an seiner Seite und stach ihm mein Kurzschwert in den Leib, drehte es einmal um und zog seine fauligen Eingeweide heraus. Der Magier brach zusammen. Patmos zertrampelte seinen Gegner endgültig und Xera stach den letzten ab. Das wars.
Als die Gegner Bahamuts vernichtet waren, verschwanden Xeras Flügel langsam und ihr Schwert verlosch.
„Wer waren die denn?“
„Du hast Flügel bekommen!“, sagte ich konsterniert und ohne auf die Frage einzugehen.
„Was, wirklich?“ Xera hatte das wohl nicht bemerkt. „Wie sahen die denn aus?“
„Rötlich, wie deine Flammen auf dem Schwert, und sie waren durchscheinend.“
„Beim nächsten Mal brauche ich einen Spiegel.“
„Beim nächsten Mal verkloppst du gerade wieder jemanden. Da wäre ein Spiegel nicht gut.“
„Das stimmt wahrscheinlich“, seufzte sie. „Also, wo kamen die denn her?“
„Wo die herkamen, weiß man nicht und ist bei Männern schwierig, aber der Zauberer kam bestimmt aus Tier Breche. Vielleicht hat er ein Hausabzeichen.“
Wir durchsuchten die Räumlichkeiten nach weiteren Hinweisen. Es war ein KuoToa-Tempel, der aber seit langer Zeit nicht mehr benutzt wurde. Auf dem Altar war noch ein verwittertes Wesen mit drei großen Glupschaugen zu sehen. Auf dem Altar war auch eine Art Halterung, die noch leicht magisch flackerte. Darauf schien etwas stark Magisches gelegen zu haben, aber das hatte jemand entfernt und das vor nicht allzu langer Zeit.
Die Drow schienen ein Expeditionstrupp gewesen zu sein. Ihr Proviant war für eine längere Reise ausgelegt, aber die Reste waren weitestgehend verdorben.
„Wie wird man eigentlich zu Untoten?“, wollte Xera wissen.
„Indem irgendjemand sie dazu macht“, erwiderte ich, „normalerweise Zauberkundige. Vielleicht waren es auch die komischen Tentakelwesen. Sahen ja ein wenig nach Dämonen aus.“
Der Magier hatte tatsächlich ein Hausabzeichen unter seiner Robe. Es war das Haus Tuin'Tarl. Das Haus wurde nach der Lolth-Stille zerstört, etwa 1383, als Rache auf einen missglückten Angriff auf das Haus Horlbar, wenn ich mich recht erinnerte. Nun war es ja möglich, dass das hier Flüchtlinge waren, aber dann waren sie Jahre unterwegs gewesen. So sah das nicht aus. Die wahrscheinlichere Antwort gefiel mir überhaupt nicht: Wir waren vor 1383 gelandet. Das wäre sehr schlecht. Zeitparadoxen waren nicht Gegenstand meiner Ausbildung gewesen.
Wenn ich meine Schwester zu früh umbringe, was geschieht dann? Macht es Plopp und ich bin weg? Macht es Plopp und ich bin der Hauptmann der Wache? Oder ein Schattentänzer für meine Mutter?
Das einzige von Wert war das Zauberbuch des Magiers. Er war nicht besonders hochstufig, aber ein Handelsartikel ist ein Handelsartikel. Ich säuberte es mit meiner Thaumaturgie und entfernte die Moose und Flechten. Dann hatten sie noch ein paar Goldmünzen bei sich, wie erwartet hauptsächlich aus Menzoberranzan und einige aus Ched Nasad.
Zu der Halterung fiel mir plötzlich etwas ein. Herumlaufen in den Gängen ist wegen faez’red eine Gefahr, es gibt aber auch Stellen, wo diese Strahlung nicht ist. Die Strahlung verändert Lebewesen, wirkt sich auf die Magie-Fähigkeiten aus und man sollte nicht zu lange sich in ihr aufhalten. Das sind beliebte Orte, weil man dort ohne Gefahr teleportieren kann.
Diese Orte sind gut bewacht oder haben gesicherte Port-Schlüssel vor Ort. Vielleicht gab es mal einen hier, aber der schien gerade woanders zu sein.
Also auf ins Unbekannte. Wir verließen den Tempel und machten uns auf die Suche nach den Ausgängen. Ich versuchte, mich zu orientieren. Nach einiger Zeit kamen wir an einem sehr großen Skelett vorbei. Riesig würde es besser treffen. Es erinnerte stark an ein Reptil mit Flügeln und war über und über mit Pilzen und Flechten bewachsen. Andenkenjäger hatten die Klauen und Zähne bereits geplündert. Hier lag ein Drache. Jetzt wusste ich aber, wo ich war. Ich war noch nie hier gewesen, aber das hier war die Altdrachenklamm, ein beliebtes Ausflugsziel. Nach Menzoberranzan waren es von hier aus vier bis fünf Tage durch ungesicherte Tunnel.
Ich sah mich um. Auch die Höhlenwände hinter dem Drachen waren stark bewachsen, wesentlich stärker, als es normalerweise der Fall sein sollte. Das Ganze reckte sich weit in die Höhe. Ich schwebte nach oben, denn das war seltsam. Nach guten 40 Metern sah ich einen Höhleneingang. Die Pilze wucherten in diese Höhle hinein und gehörten teilweise auch nicht hierher. Groß war die Öffnung nicht, aber perfekt rund. Der Drache hätte da nicht drin wohnen können, außer er könnte Verkleinerungszauber.
Ich zog meinen Enterhaken heraus, befestigte ihn am Seil und warf ihn in den Eingang. Er rutschte einen guten Meter, dann hakte er sich an einem besonders dicken Pilz fest. Ich zog mich vorsichtig heran. Das dahinterliegende Gangstück war kurz und erweiterte sich schnell zu einer größeren Höhle.
Ich ging vorsichtig zur der Höhle weiter. Dort konnte man gut wieder stehen. Diese Höhle war wie ein Terrassenbeet geformt und hatte einen schmalen Rand, um darauf herum zu balancieren. Gegenüber ging es weiter. Hier wuchsen größere Arten, unter anderem einige Sporen absondernde und natürlich die obligatorischen Schreier. Vorsichtig machte ich mich auf den Weg zur anderen Seite.
Der Durchgang war größer, eher wie ein Torbogen geformt und gut fünf Meter hoch. Neugier tötet die Katz, hieß es, für Drow war es also ungefährlich und so ging ich leise weiter. Der nächste Raum war perfekt rund und sah aus wie ein Trichter. Der Trichter hatte unten ein Loch von guten drei Metern Durchmesser, das irgendwo hin führte, wo ich nicht hin wollte. Der Umgang war vielleicht einen Fuß breit und es war rutschig. Gegenüber sah ich zwei weitere Gänge. Hier brauchte ich eine Seilsicherung und demzufolge musste Xera hier rauf.
Ich kehrte zu Xera zurück und erzählte ihr, was ich gesehen hatte.
„Tiefendrachen können sich recht schlank machen, habe ich gelesen. Eventuell ist das da oben seine alte Höhle. Vielleicht liegt dort auch noch sein Hort? Ich kann mich nämlich nicht erinnern, etwas von einem Höhlensystem oberhalb des Drachenskelettes gehört oder gelesen zu haben. Sie scheint auch seit langem nicht begangen worden zu sein, denn ich habe keine zermatschten Pilze gesehen. Sollte hier wirklich lange keiner gewesen sein, dann wäre der Hort noch da.“
„Ich komme da nicht hoch“ merkte Xera an.
„Kletterschuhe?“
„Vielleicht … das sieht sehr rutschig aus.“
Mir fielen die Drehhaken aus der Grauzwergstadt ein. Ich kam mit meinem Spinnenklettern da bestimmt wieder hoch und könnte für Xera eine Seilsicherung bauen. Falls das nicht klappt, bräuchten wir eine Lange Rast für meine Sprüche.
Patmos musste unten bleiben. Er versteckte sich im Drachenskelett. Als Xera oben war, kletterte ich wieder runter und brachte unser Gepäck in den Tunneleingang. Es waren zwar nur Vorräte, aber immerhin.
In der ersten Höhle erklärte ich Xera, welche Pilze schreien, einen Ansporen oder mit wasauchimmer zusabbern würden. Sie kam bravourös durch den Pilzwald. Natürlich. Anfängerglück, wie bei dem Burgfenster.
Für die Trichterhöhle mussten wir uns anseilen. Im Trichter war Bewegung, um die ganzen Knochen, Körperteile und sonstiges, die unten lagen, zu verdauen. Verdächtig war, dass die Sachen hier teilweise recht frisch aussahen. Hier war noch jemand.
Ich schaffte den Weg auf die andere Seite ganz gut, denn der Spruch lief ja noch und nahm den linken Gang. Dann suchte ich mir ein Stück von der Höhle entfernt einen guten Platz, wickelte das Seil um mich und dann verkeilte ich mich, so gut es in dem glatten Gang ging, an der Höhlenwand. Xera rutschte natürlich prompt aus. Gut, dass das Spinnenklettern noch wirkte! Ich wurde ein Stück durch den Gang gezogen, bis ich endlich wieder Halt fand. Bei den Göttern, war die Frau schwer! Ich kugelte mir fast die Arme aus bei dem Versuch, mich festzukrallen, während sie wieder hochkletterte.
Ich massierte meine schmerzenden Arme. „Ich hätte da den Vorschlag, dass wir uns ab jetzt auf drakonisch unterhalten. Ich weiß nicht warum, aber ich glaube, dass ist eine gute Idee.“
Xera nickte nur.
Nach ein paar Dutzend Metern erreichten wir einen Raum. Einen Thronsaal. Ein Thronsaal für einen Drachen. An den Wänden standen große Steinköpfe, die Drachen darstellten. Es waren acht insgesamt, die sich gegenseitig ansahen. Auf der anderen Seite stand der Thron. Der war nicht für einen Drachen, aber doch recht groß.
Ich betrat den Raum und begrüßte die erste Statue auf drakonisch: „Willkommen, Wächter!“
Die Drachenköpfe blieben stumm. Außerdem sahen sie nicht aus wie Bahamut, sondern eher wie Schlangen. Dann sah ich die Schriftzüge. Es schienen Mama und Papa, Oma und Opa und so weiter zu sein. Insgesamt waren hier gute 3000 Jahre Drachenvorfahren versammelt.
Um den Thron herum lag der Hort. Eigentlich seine Überreste, denn es waren viele Kupfermünzen, weniger Silbermünzen und vereinzelte Goldmünzen zu erkennen. Da ich nicht glaubte, dass das hier Kobolddrachen gewesen waren, schienen hier wohl doch schon Plünderer gewesen zu sein.
Dann untersuchte ich den Thron, während Xera den Drachen ihre Referenz erwies. Und wurde wider Erwarten fündig. Eine der Armlehnen war beweglich.
Ich bewegte die Lehne und die Rückwand des Thronsaals begann, sich zu bewegen. Ein Zittern durchlief den Steinboden. Die Wand fuhr zurück und dann nach oben. Dahinter öffnete sich ein weiterer dieser Fünfmeter-Gänge. Der ging steil in die Tiefe. Von unten leuchtete deutlich mehr Licht als hier oben.
Dort war der Hort! Gold, Edelsteine, Gegenstände und alles Mögliche andere! Tausende von Münzen! Geoden und Gemmen! Meine neue Drachennatur machte sich bemerkbar und auch Xera hörte ich sehr schwer atmen. Dann schaltete sich mein Gehirn wieder ein und ich sagte auf Drakonisch:
„Guten Tag! Ist hier eine drakonische Lebensform anwesend?“
Erst einmal war Stille. Dann blies mir etwas seinen heißen pilzigen Atem in den Nacken. Ich drehte mich langsam um. Ein tiefes Grollen ertönte.
Wir sahen in zwei große Halbkugeln, die das Licht der Pilzlampen reflektierten. Sie saßen in einem eher schlangenartigen Kopf, der denen der Statuen draußen sehr ähnlich sah. Es gab einen Drachen!
Er wirkte erst einmal mehr interessiert als wütend.
„Oh mächtiger Drache“, schleimte Xera, „wir sind so erfreut, euch zu sehen.“
„Recht interessante kleine Wesen.“, dröhnte es in unsere Ohren.
„Wir dachten, dass da unten wäre euer Skelett.“
„Nein, ich fand diese Höhle vor einiger Zeit. Hort ist Hort, nicht wahr?“
Er fixierte missbilligend Xeras Bahamut-Amulett.
Die bemerkte den Blick und meinte: „Eigentlich sind wir Drachen doch alle eine Familie.“
„Nun, es gibt sehr viel Krieg in dieser Familie.“
„Ihr müsst sehen, verehrter Drache,“ sagte ich, „ich bin Dunkelelf. Mit Kriegen in der Familie kenne ich mich aus. Es wundert mich sehr, dass sich die Drachen so zerstritten haben, weil sie doch einen einzigen großen Ahnherren hatten, nämlich Asgorath.“
„Jemand kennt unsere Geschichte? Ich muss sagen, ich bin auch sehr desinteressiert an Konflikten. Ich fühle mich sehr wohl in meiner Einsamkeit.“
„Ja, ja, und ab und an ein Snack, der unter eurer Höhle vorbeikommt.“
„Bietet ihr euch an? Ich muss sagen, die letzten Dunkelelfen haben mir sehr gemundet.“
„Ähm, ich bin da nicht ganz so lecker.“ Ich zeigte ihm meine Schuppen.
„Ich muss sagen, jetzt bin ich verwirrt. Farbe und Metall mischt sich nur selten.“
„Wenn man die gleichen Absichten hat, dann arbeitet man zusammen. Habt ihr schon mal von den Illythiiri gehört?“
„Kann ich nicht sagen.“
„Als die Sri-tel-quessir, die dunklen Elfen, in die Welt kamen, waren auch wir Elfen noch ein Volk. Die Drachen beherrschten Toril und wir hatten einen Pakt mit ihnen geschlossen. Dann kam Neid und Habgier in die Welt und nicht nur die tel-Quessir begannen ihre Bruderkriege, sondern auch die Drachen. Das ist viele Jahrtausende her. Aber den Zustand ändern zu wollen, das ist unser beider Aufgabe.“
Seine Flügel entfalten sich ein wenig und er sprang nach vorne. Er landet in seinem Hort und kuschelte sich ein.
„Nun, ich kann nicht sagen, dass eure Motivation meiner gleicht. Bei mir habe ich die Gier zu meinem Lebenszweck gewählt. Aber ihr klingt aufrichtig. Ihr wollt das Gute.“
„Ähm, nicht ganz,“ warf ich ein, „wir wollen das Richtige. Gut und Böse sind persönliche Betrachtungsweisen, das Richtige ist universell.“
Er wirkte leicht irritiert. „Wie du meinst.“ Er schien nicht der Typ für tiefschürfende philosophische Diskussionen zu sein.
„Bleiben wir bei der Gier“ rumpelte er. „Ich suche Geheimnisse. Das ist das Wichtigste, finde ich. Kennt ihr ein Geheimnis? Wenn ja, lasse ich euch ziehen.“
Ich überlegte hektisch. „Welches Jahr haben wir?“
„Ich soll ein Geheimnis kundtun ohne Gegenleistung?“ Seine Klaue lag auf einem länglichen Stein, der mir fatal nach dem fehlenden oberen Stück auf dem Altar aussah. Er hatte den Portalstein geklaut.
„Nun, wenn ich das Jahr wüsste, könnte ich euch etwas erzählen. Aber dann erst eine andere Frage: War die Lolth-Stille bereits?“
Jetzt wirkte er aufmerksam.
„Was ist das?“
„Lolth hatte sich für etwa ein Jahr in Schweigen gehüllt. Die Priesterinnen bekamen keine Sprüche mehr und konnten einige Städte nicht halten.“
„Wann soll das sein?“
Unsere Reise in die Vergangenheit setzt sich fort. Jetzt waren wir mindestens im Jahr 1373.
„Dazu müsste ich das aktuelle Jahr wissen.“
„Nun gut, 1358.“
1358. Das Jahr der Schwierigkeiten. Der missglückte Angriff auf Mithral Hall, der zu einem Machtwechsel im Haus Baenre geführt hatte. Im Jahr davor war eines der mächtigsten Häuser, nämlich das Haus Do’Urden, gefallen. Oh Mann. Konnte nicht mal irgendwas glattgehen? Ich schluckte.
„In 14 Jahren, im Jahr 1374. Eine Armee von Grauzwergen überrannte in der Zeit Ched Nasad. Wir wissen nicht genau, wer ihr genialer Anführer war. Werdet ihr das sein?“ Ich grinste diabolisch.
„14 Jahre?“ Der Drache überlegte. „Das gibt mir Zeit zu planen. Eine ganze Stadt? So viele Schätze? Das ist ein wirklich großes Geheimnis. Ihr dürft gehen.“
Seine Klaue gab den Portalstein frei.
Wir nickten, verabschiedeten uns und legten unsere Hände auf den Stein, der zu glühen anfing. Dann wurde es kurz dunkel. Als wir wieder sehen konnten, waren wir nicht da, wo wir hinwollten. Wir standen in einem seidigen Kokon, der auf dem Steinboden ein achteckiges Muster aufwies.
Das Licht war milchig. Als wir den Kokon verließen sahen wir ein Fenster und durch das nach draußen. Dort waren hunderte von dicken Strängen in der Dunkelheit zu sehen. Schiffe aus Seide glitten daran entlang und riesige Kokons, ähnlich wie in Ched Nasad, hingen an den Strängen. Ich wurde blass. Das sah mir sehr nach dem Netz der Göttin aus. Bei den Göttern, schlimmer geht immer. Was hatten wir getan, um das zu verdienen?
Ich teilte Xera meinen Verdacht mit und bat sie, den Mund zu halten und sich ehrerbietig zu benehmen. Sie nickte. Dann gingen wir weiter und kamen nach kurzer Zeit zu einer Kammer. Dort stand eine Priesterin in weißem Gewand, die sich zu uns umdrehte. Ich sank auf die Knie, Xera ebenfalls. Sie lächelte wohlgefällig, kam zu uns und nahm mein Kinn in ihre Hand. Der Griff war fest und unerbittlich.
„Wer bist du?“
„Ich bin Ghaundar aus dem Haus Zauwirr, Reisender und Händler in seltsamen Gegenständen.
Ich muss sagen, unsere Reise war schwierig bis hierher. Wir fanden einen alten Tempel und als wir diesen verließen, befanden wir uns irgendwo anders in Zeit und Raum. Wir suchten lange, bis wir den Weg zurück in die Altdrachenklamm fanden und den Portalstein benutzen konnten. Damit wollten wir nach Menzoberranzan, um herauszufinden, wann wir sind. Nun sind wir hier.“
Die Priesterin sah mich mit offenen, klaren und mütterlichen Augen an. Sie luden dazu ein, ihr alles erzählen zu können und sie würde verstehen. Mann, hatte ich Schiss. Ihre Finger lösen sich von meinem Kinn und ich bekam eine schallende Ohrfeige.
„Ein Netz aus Lügen, ich glaube es nicht. Du wirkst verwirrt, Kind. Zeitreisen, andere Dimensionen … möchtest du nicht einfach nur nach Hause in die Arme deiner dich liebenden Mutter?“
„Aber selbstverständlich, nach nichts anderem steht mir der Sinn.“
Das schien sie zu beruhigen. Meine Geschichte hatte sie mir offensichtlich nicht abgekauft, dabei stimmte die doch. Jedenfalls mehr oder weniger. In die Arme meiner mich liebenden Mutter – und wir wissen, dass damit nicht die leibliche Mutter gemeint war – wollte ich durchaus nicht. Dazu gefiel mir mein mich vielleicht liebender neuer Vater zu gut.
„Ich habe schon viele Geschichten gehört, Kind. Viele kommen hier durch und lügen über das, was sie getan haben und über den Dienst, den sie angeblich verrichtet haben. Aber am Ende zieht es sie alle wieder nach Hause.“
„Ehrwürdige Mutter, gestattet mir eine Frage: Wo sind wir hier? Ich glaube, wir sind im Netz, nicht wahr?“
Ein unangenehmes, breites Grinsen antwortete mir. Menschliche Zähne waren das nicht, dafür waren sie zu scharf und spitz. Das war eine Zofe! Ich hatte beim Belauschen meiner Mutter davon gehört, dass die Göttin über außerweltliche Dienerinnen verfügte, die die Gestalt von Dunkelelfinnen annehmen konnten. Jetzt war ich mir sicher. Angstschweiß begann, meinen Rücken herunterzulaufen.
„Du hast offenbar bei deinen Studien aufgepasst.“
„Ja, ehrwürdige Mutter. Manchmal unter Schmerzen.“
„So soll es sein. Ja, du bist hier, im Heim der allerehrwürdigsten Mutter, ein Privileg, dass nicht viele genießen dürfen und schon gar nicht …“ Sie blickte auf Xera.
„Das ist meine treue Leibwächterin, ehrwürdige Mutter.“
Xera hielt den Blick gesenkt. Ich war mir sicher, dass ihr genauso mulmig war wie mir. Andererseits würde sie nicht eine Sekunde lang zögern, ein Blutbad zu entfesseln, falls das hier schiefging.
„Nun, ihr werdet beide bald wieder freudig zurückkehren. Aber für das erste, denke ich, spricht nichts dagegen, dass ihr in Ihre größte und schönste Höhle weiter reist. Ist das euer erster Besuch dort?“
„Nein, ehrwürdige Mutter, ich war bereits ein- oder zweimal dort.“
„Dann kennst du ja die Verhaltensregeln.“
„Selbstverständlich, ehrwürdige Mutter.“ Wovon redete sie? Welche Verhaltensregeln? Mir fielen auf Anhieb keine ein, außer, die Priesterinnen zu ehren. Ach ja, und keine Spinne zu töten.
Sie streckt ihre Hände aus. Xera musste etwas auf Knien heran rutschen. um in Reichweite zu kommen. Wir reichten ihr die Hände und ihr Netzsymbol flammte auf. Wir schlossen die Augen, so grell war es.

Level up!
Kein Plan reicht mit einiger Sicherheit über das erste Zusammentreffen mit den Spielern hinaus.
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